- Große Ablehnung für Peking als Ausrichter in der demokratischen Welt
- CDU-Menschenrechtspolitiker wirft IOC Verrat seiner Ideen vor
- Reporter ohne Grenzen warnen vor Pekings Medienstrategie
- Korrespondenten treffen auf mehr Aggressionen
- Millionen Urteile aus Datenbank gelöscht
- Geflohene Dopingärztin Xue im Porträt
nein, ganz sicher ist Peking nicht der richtige Ort, um die olympischen Werte zu repräsentieren. Aber wen kümmert das im IOC, der „Prostituierten von Regimen“, wie CDU-Menschenrechtspolitiker Michael Brand uns im Interview sagt? Die Winterspiele, die heute in der chinesischen Hauptstadt offiziell eröffnet werden, mögen auf noch so viel Ablehnung stoßen. Am Ende werden die Verantwortlichen ihre Austragung durch den größten Unrechtsstaat der Welt als Erfolg feiern. Allen voran auch noch ein Deutscher, der IOC-Präsident Thomas Bach.
Dass es jetzt in demokratischen Staaten breite politische und zivilgesellschaftliche Kritik an der Vergabe hagelt, ist gut. Aber es ist auch viel zu spät. Als vor sieben Jahren in Malaysia entschieden wurde, dass Peking nach dem Sommer 2008 nur 14 Jahre später gleich noch einmal ran darf, hätte es das umfangreiche Engagement der freien Welt bedurft. Jetzt ist das Kind längst in den Brunnen gefallen. Peking wird die Ausrichtung gekonnt zu seinen Gunsten nutzen.
Innenpolitisch wird Olympia 2022 den Nationalismus stärken und ein autoritäres Regime weiter legitimieren. Außenpolitisch wird die Volksrepublik viele Staaten der Welt beeindrucken. Sicherlich nicht Deutschland oder die USA. Aber um uns geht es China dabei auch nicht. Es sind jene Nationen, die sich scheinbar im Niemandsland der Weltpolitik befinden, aber in den Vereinten Nationen ebenso eine Stimme zu vergeben haben wie die mächtigen Länder.
Auch vor den Sommerspielen 2008 wurde China hart kritisiert. Und dennoch ist das Land seitdem stärker, selbstbewusster und entschlossener geworden. Auch diese Winterspiele werden eine neue Runde chinesischer Kraftprotzerei einläuten. Wollen wir nur hoffen, dass der Fußball-Weltverband nicht den gleichen Fehler macht wie das IOC. Die Ausrichtung einer Weltmeisterschaft fehlt den chinesischen Autokraten noch in der Sammlung.
Marcel Grzanna

Analyse
Olympia-Eröffnung: Beispiellose Wucht der Ablehnung
Marcel Grzanna
Mehr als ein Dutzend führender Industrienationen und demokratische Regierungen der Welt werden keine Regierungsvertreter oder Diplomaten nach Peking senden. Manche davon nennen es offiziell Boykott. Andere, darunter die Bundesrepublik, vermeiden den Begriff, bleiben den Spielen aber trotzdem fern. Über 250 internationale Nichtregierungsorganisationen haben sich einer Erklärung angeschlossen, die weitere Staaten auffordert, sich einem politischen Boykott anzuschließen. Auch die Athletinnen und Athleten werden darin aufgerufen, „die Menschenrechtsverletzungen der Regierung nicht zu legitimieren“.

Die Ablehnung, die das Ausrichterland erfährt, ist für Olympische Winterspiele beispiellos in der Geschichte. Allenfalls die Sommerspiele von Berlin 1936 wurden einst ähnlich kontrovers diskutiert. Mit ihrer dramatisch schlechten Menschenrechtsbilanz durch die Behandlung der Uiguren in Xinjiang, die politische Säuberung in Hongkong, die Unterdrückung Tibets oder durch Einzelschicksale wie das der Tennisspielerin Peng Shuai erzürnt die chinesische Regierung große Teile der demokratischen Welt. Ein anderer Teil steht an Pekings Seite und verteidigt das Land gegen seine Kritiker.
Auch in Deutschland stößt China als Gastgeber auf breiten Unmut. In einer exklusiven Umfrage des China.Table, durchgeführt von Civey, hielten drei von vier Befragten die Vergabe an die Volksrepublik für falsch bis eindeutig falsch. Nur zehn Prozent glauben, dass das IOC richtig entschieden hat. 15 Prozent der Teilnehmer waren unschlüssig.

Schon die Eröffnungsfeier der Spiele (4. bis 20. Februar) steht deshalb unter besonderer Beobachtung. Seit Monaten ermutigen Aktivisten die Sportler dazu, der Auftaktveranstaltung fernzubleiben, um ein Zeichen zu setzen. Mehrfach trafen Vertreter verschiedener Organisationen mit Olympia-Teilnehmerinnen zusammen, um sie über die Menschenrechtssituation in der Volksrepublik zu informieren. Students for a Free Tibet (SFT) hatten dazu Reisen von Exil-Tibetern, -Uiguren und Hongkongern zu Weltcup-Veranstaltungen des Wintersport-Kalenders organisiert.
IOC-Präsident Bach wäscht seine Hände in Unschuld
Weil vornehmlich US-Aktivisten in die Initiative integriert sind, feuert die chinesische Staatspresse scharf in Richtung Washington. Die US-Regierung stecke hinter einem „böswilligen und schmutzigen“ Komplott. Sie belohne Sportler aus verschiedenen Ländern fürstlich dafür, wenn diese ihr Missfallen über die Ausrichtung der Spiele durch die Volksrepublik zum Ausdruck brächten, behauptet die China Daily. Die Tageszeitung verweist in ihrer Argumentation auf „anonyme Quellen“.
Unterstützung erhielt China aus Russland. Der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes sagte, ihm lägen „umfangreiche Informationen“ vor, dass es konzertierte Aktionen des US-Verteidigungsministeriums gebe, um die Ausrichtung der Winterspiele zu trüben. IOC-Präsident Thomas Bach wusch derweil am Donnerstag einmal mehr seine Hände in Unschuld. Es gehe bei Olympia um die Integration der ganzen Welt. Die Spiele könnten nicht die Probleme der Welt lösen.
Zumindest aber hätte das IOC mit einem „Nein“ zu Peking vorausschauend verhindern können, zu ihrer weiteren Spaltung beizutragen. Die Geister, die Bach und das Komitee mit der erwartbaren Kontroverse riefen, werden die Sportfunktionäre jetzt nicht mehr los. Bach klagt sogar, dass „die Boykott-Geister wieder ihre hässlichen Köpfe recken.“
Für die chinesische Regierung ist die Teilnahme hochrangiger Politiker und Funktionäre von enormer innenpolitischer Relevanz. Staatschef Xi Jinping hat das eigene Land seit Ausbruch der Corona-Pandemie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr verlassen. Er sendete damit das Signal, dass er sich während dieser Zeit ausschließlich in China sicher fühlte. Wenn sich nun Staatschefs aus all den Ländern blicken lassen, die deutlich mehr Corona-Tote zu verzeichnen haben, soll an die chinesische Bevölkerung der Eindruck vermittelt werden, dass auch das Ausland dem chinesischen Krisenmanagement vertraut.
Massive Kritik an Peking gab es schon 2008
Die extreme Politisierung der diesjährigen Spiele hat das IOC selbst mit zu verantworten. Eine breite Allianz hatte bereits die Ausrichtung der Sommerspiele 2008 an Peking kritisiert. Seitdem hat sich die Menschenrechtsbilanz dramatisch verschlechtert. Damit hat auch die Lautstärke ihrer Kritiker drastisch zugenommen. Dennoch ging der Zuschlag 2015 erneut an China. „Die letzten Olympischen Spiele in Peking im Jahr 2008 haben zu einer massiven Eskalation der chinesischen Brutalität in Tibet geführt. Offenbar war sich die chinesische Regierung sicher, ungestraft handeln zu können„, urteilt die International Campaign for Tibet.
Mit ihrer gemeinsamen Erklärung, die inzwischen mehr als 250 Nichtregierungsorganisationen unterzeichnet haben, demonstrieren die Gegner der Vergabe auch eine zivilgesellschaftliche Geschlossenheit jenseits der politischen Sphäre. Renee Xia, Direktorin von Chinese Human Rights Defenders, warnt vor den Konsequenzen der chinesischen Ausrichtung. „Dass die Olympischen Winterspiele in Peking stattfinden, ist ein Signal an die Welt, dass die Regierung von Xi Jinping unproblematisch ist.“
Viele Regierungen lassen sich aus unterschiedlichsten Beweggründen dennoch nicht davon abbringen, bei der Eröffnungsfeier dabei zu sein. Darunter auch zahlreiche Staaten der Europäischen Union. Frankreich schickt die beigeordnete Ministerin für Sport, Roxana Mărăcineanu. Wohl auch aus Sorge um entsprechende Reaktionen auf die eigene Ausrichtung der Sommerspiele 2024.
UN-Vertreter werden zahlreich auf der Tribüne Platz nehmen
Aus Polen reist Regierungschef Andrzej Duda an. Griechenlands Botschafter Georgios Iliopoulos nahm sogar am Fackellauf teil. Er empfing das Olympische Feuer am Mittwoch wohl nicht zufällig von Chinas Basketball-Ikone Yao Ming. Damit wurde die mediale Präsenz seiner Teilnahme durch die Organisatoren noch einmal erhöht. Die Bundesregierung begründete ihren Verzicht auf eine offizielle Verlautbarung eines diplomatischen Boykotts mit der mangelnden Einigkeit in der EU.
Erwartet werden auch europäische Fürsprecher der Kommunistischen Partei Chinas wie Russlands Staatspräsident Wladimir Putin oder Serbiens Aleksandar Vučić, dessen Regierung die Hauptstadt Belgrad mit Dankes-Plakaten an Xi Jinping für dessen Corona-Hilfe gepflastert hatte. Die Vereinten Nationen, in deren Unterorganisationen inzwischen zahlreiche Chinesen den Vorsitz haben, sind ausgesprochen stark vertreten.
Neben UN-Generalsekretär António Guterres werden der Präsident der Generalversammlung Abdulla Shahid von den Malediven und der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus aus Äthiopien sowie der chinesische Generaldirektor der UN-Weltorganisation für geistiges Eigentum, Deng Hongsen, auf der Tribüne Platz nehmen. Auch Tedros Teilnahme ist ein Erfolg für die chinesische Regierung, weil auch seine Präsenz das Corona-Management der Volksrepublik goutiert.
Hinzu kommen der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi und Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman sowie der Emir von Katar und der Kronprinz von Abu Dhabi, die allesamt für ihre autoritäre Staatsführung bekannt sind. Und nicht zuletzt zeigt auch Kassym-Schomart Tokajew sein Gesicht. Der kasachische Staatspräsident machte erst vor wenigen Wochen Schlagzeilen, weil er Aufständische in seinem Land zu Tausenden erschießen ließ. Bei ihm dürfte jedoch etwas olympische Wehmut aufkommen. Kasachstan hatte als einziger Mitbewerber Pekings bei der Vergabe der Winterspiele 2022 den Kürzeren gezogen.
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Interview
„Das IOC verrät die olympische Idee“

Herr Brand, schauen Sie sich die Übertragungen der Olympischen Winterspiele an?
Ich bin sportbegeistert und ich schaue gerne Olympische Spiele an. Aber mit der Vergabe an Peking haben die Spiele ihre Unschuld verloren. Das IOC verrät die olympische Idee. Ich jedenfalls werde mir die Inszenierung des chinesischen Regimes bei der Eröffnungsfeier nicht anschauen, das muss man sich wirklich nicht antun. Umso mehr drücke ich allen, vor allem den deutschen Sportlern, die Daumen und hoffe darauf, dass sie viel Freude und Erfolg haben werden.

Was konkret kritisieren Sie am Internationalen Olympischen Komitee?
Die Fehler sind nicht erst bei Peking 2022 gemacht worden. Das IOC weiß ganz genau, dass sportliche Großveranstaltungen von autoritären Staaten missbraucht werden, um sich ein besseres Image zu geben. Und dass diese Regime dafür bereit sind, enorme Preise zu bezahlen. Inzwischen ist das IOC zu einer Prostituierten von Regimen geworden, die genug zahlen. Dass ausgerechnet ein deutscher Präsident diesen Weg des IOC skizziert, ist schwer auszuhalten. Die Olympischen Winterspiele 2022 finden statt in einer Zeit, in der Peking zeitgleich mit äußerster Brutalität sowohl im Inneren als auch im Äußeren vorgeht, die Demokratie in Hongkong erwürgt, Taiwan offen mit Krieg droht, eine nie dagewesene militärische Aufrüstung betreibt und in der Provinz Xinjiang über eine Million unschuldige Uiguren in Internierungslager steckt.
Das IOC und der jetzige Präsident Thomas Bach haben schon 2008 gesagt: Die Spiele seien eine gute Gelegenheit, über Menschenrechtsverletzungen zu sprechen und auf diese Weise Wandel zu bringen.
Das Schlimme ist: Bach weiß, dass das völliger Unsinn ist, er kennt seinen Freund und Diktator Xi nur zu gut. Seit 2008 hat sich nichts verbessert. Im Gegenteil: Die Brutalität ist total. Die Olympischen Spielen standen einmal für Werte wie Frieden und Verständigung. Xi Jinping steht für das exakte Gegenteil, für Repression im Innern und für Aggression nach außen. Und Thomas Bach ist zu seinem Komplizen geworden. Wer zu Völkermord schweigt, macht sich mitschuldig. Das IOC ist zu einer milliardenschweren Geldmaschine degeneriert, Menschenrechte sind inzwischen egal.
Bei den Spielen vor 14 Jahren hatte man noch den Eindruck, das IOC pocht auf die Einhaltung der Olympischen Charta. Das scheint dieses Mal kein Thema mehr zu sein. Ist China auch für das IOC zu mächtig geworden?
Schon seit vielen Jahren geht es dem IOC nicht um die Olympische Charta, sondern um Milliardenumsätze und sonst nichts. Schon 2015 hat das IOC bei der Vergabe vieles gar nicht mehr eingefordert, weil Thomas Bach und die anderen wussten, dass Regime dann nicht mehr zahlen. Spätestens seit 2017 weiß die Welt von den Internierungslagern in Xinjiang. Da hätte das IOC Konsequenzen ziehen müssen, zugunsten der Inhaftierten intervenieren können. Diesen Entscheidungsspielraum gibt es, man muss dazu allerdings Interesse an Menschenrechten haben. Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin näherte man auch die Illusion, man könnte den nach innen brutalen und nach außen aggressiven Nationalsozialismus bändigen. Wir wissen, was daraus geworden ist. Das IOC macht sich erneut zum Komplizen einer brutalen Diktatur.
Hat die deutsche Politik denn keinen Kontakt zu Thomas Bach?
Leute wie Thomas Bach haben mit Deutschland und unseren Grundwerten nicht mehr viel zu tun. Sie leben in einer anderen Welt, in der Geld viel und der Mensch wenig zählt. Wir haben als Parlamentarier im Bundestag die Sportverbände mehrfach auf die enormen Probleme hingewiesen. Nur, um nicht völlig schlecht dazustehen, wird gerade das absolute Minimum unternommen, das eigene Interesse wird über die Menschenrechte gestellt.
Ein konkretes Beispiel: Ein tibetischer Dokumentarfilmer war für eine 2008 gedrehte Dokumentation über die Repressionen in Tibet für vier Jahre inhaftiert, wurde gefoltert, und seine Familie wurde in Sippenhaft genommen. Der Mann lebt heute in den USA. Vor kurzem war er in Berlin und sprach mit dem Deutschen Olympischen Komitee. Im Anschluss daran sagte er mir, er habe sich im Kern nicht ernst genommen gefühlt, die Sportfunktionäre hätten sich nicht für seine Informationen und Erfahrungen interessiert. Nach draußen zeigt sich der Verband zwar interessiert, aber eigentlich schaut er weg, akzeptiert die brutale Unterdrückung in China. Denen geht es neben dem Wettbewerb auch um den finanziellen Profit.
Was bedeutet ein solches Verhalten für den Sport?
Ich glaube, auf diese Weise werden die Olympischen Spiele auf Dauer an die Wand gefahren. Natürlich widert es auch immer mehr Sportlerinnen und Sportler an, dass das IOC die Spiele zu einem reinen Instrument von Kommerz und Macht verkommen lässt. Themen wie Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz und natürlich die Menschenrechte spielen bei Sportlern eine große Rolle. Und auch das Publikum fühlt sich belogen. Das IOC muss endlich einen Kurswechsel vornehmen.
Befürworten Sie einen Boykott dieser Spiele?
China ist mit seinem Machtgebaren heute eine größere Gefahr als die Sowjetunion im Kalten Krieg. Insofern halte ich es schon für notwendig, ein deutliches Signal zu setzen. Dass die neue Bundesregierung sich noch nicht einmal dazu durchringen konnte, einen diplomatischen Boykott zu erklären, halte ich für einen großen Fehler. Die Sportler sollen zwar teilnehmen können. Ein diplomatischer Boykott wäre aber das Mindeste gewesen.
Ist das nicht reine Symbolpolitik?
Darum geht es doch auch, um Symbole. Ein diplomatischer Boykott ist ein starkes Symbol. Gerade solche Symbole sind einem autoritären Regime wie dem von Xi Jinping enorm wichtig. Wir erleben doch, wie das chinesische Regime inzwischen selbst hier in Deutschland versucht, selbst kleine Symbole an Solidarität mit Minderheiten, ob Flaggen oder öffentliche Kundgebungen, zu unterdrücken. Symbole sind nicht die alleinige Antwort auf ein brutales und aggressives Regime. Aber sie bleiben wichtig. Inzwischen gibt es zum Thema Menschenrechte veränderte Positionen selbst in der Wirtschaft, wie etwa beim BDI. Unternehmen erleben konkret, wie Mitarbeiter in China unter massiven Druck geraten. Wenn dann Außenministerin Baerbock von werteorientierter Außenpolitik spricht und Kanzler Scholz diese Aussagen wieder einsammelt, ist das nicht Haltung, sondern feiger Kotau. Welche Haltung hat der neue deutsche Bundeskanzler? Hat er überhaupt eine Haltung, ist er stark genug, um unser Land und unsere Demokratie wirksam zu verteidigen?
Die gleiche Frage könnte man der Vorgängerregierung stellen, an der Ihre Partei beteiligt war.
Beim Thema Menschenrechte hat sich meine Haltung nicht verändert, unabhängig davon, ob wir in der Regierung sind oder in der Opposition. Angela Merkel war eine der letzten europäischen Spitzenpolitiker, die Menschenrechtsverletzungen in China angesprochen haben. Schon damals haben andere und ich gefordert, dass wir angesichts der unter Xi Jinping immer brutaler werdenden Repression nach innen und wachsender Aggression nach außen eine andere Gangart brauchen.
Der Verweis auf damals hilft aber für die Zukunft nicht. Die strategische Auseinandersetzung mit einem immer aggressiveren China macht eine Neupositionierung unvermeidlich. Leider liefert Bundeskanzler Scholz auch hier nicht die versprochene Führung, man hört von ihm nichts zu den Internierungslagern und den Menschenrechtsverletzungen. Das muss sich ändern: Wir müssen selbstbewusst auftreten, dürfen uns nicht herumschubsen lassen.
Ist dieses Vorgehen wirklich verwunderlich? Im SPD-Stammland Niedersachsen sitzt schließlich Volkswagen, das inzwischen fast die Hälfte seiner Fahrzeuge in China verkauft. Das Land Niedersachsen ist an VW sogar beteiligt.
Deutschland hat natürlich ein Interesse an guten wirtschaftlichen Beziehungen auch mit China. Die Frage ist aber, ob wir alle anderen Interessen unseres Landes allein der Wirtschaft unterordnen. Immer noch exportiert China mehr nach Deutschland als umgekehrt, im Verhältnis zur EU ist China noch mehr auf uns angewiesen. Wir können nicht länger darauf verzichten, unsere eigenen Interessen und Wertvorstellungen zur Geltung zu bringen. Xi Jinping agiert sehr aggressiv gegenüber Mitgliedsstaaten der EU und anderen, und das schon lange. Wir dürfen uns nicht länger kleiner machen, als wir sind.
Das könnte der deutschen Wirtschaft aber teuer zu stehen kommen.
Wenn wir nicht bereit sind, für unsere Unabhängigkeit auch einen Preis zu zahlen, werden wir am Ende einen viel höheren Preis zahlen. Volkswagen hat auf Druck der chinesischen Führung ein Werk in der Provinzhauptstadt von Xinjiang errichtet, quasi in unmittelbarer Nachbarschaft zu Internierungslagern, in denen hunderttausende unschuldige Bürger unter brutalen Bedingungen inhaftiert sind. Im Land von VW und Siemens zählen Menschenrechte zur Staatsraison, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind zentrale Werte. Diese Werte und Grundrechte sind nicht verkäuflich, wir können sie nicht über Bord werfen, weil einzelne Unternehmen um Exporteinbußen fürchten.
Aber was fordern Sie konkret?
VW und Siemens und andere müssen endlich Transparenz praktizieren. Was ist konkret vereinbart worden an strategischer Kooperation zwischen VW und China? Wie konkret wird VW ausschließen, dass in Xinjiang und in den Lieferketten keine Zwangsarbeiter involviert werden? Was hat Siemens in den Aufträgen zur Unterstützung der digitalen Überwachung mit dem chinesischen Staat konkret vereinbart? Vor allem gilt: Wegsehen bei Genozid ist eine Schande, und man macht sich mitschuldig. Gerade deutsche Unternehmen tragen eine besondere Verantwortung, wenn in ihrem Umfeld Völkermord begangen wird.
Michael Brand, 48, sitzt seit 2005 im Bundestag. Er ist Mitglied des Fraktionsvorstandes der CDU/CSU und Vorsitzender der Arbeitsgruppe für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Weges seines Eintretens für die Menschenrechte, unter anderem für Tibeter, Uiguren und Christen, wurde Brand bei einer Delegationsreise des Bundestagsausschusses für Menschenrechte in die Volksrepublik im Mai 2016 die Einreise verweigert.
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Analyse
RoG: Keine Kooperationen mit chinesischen Staatsmedien
Marcel Grzanna
Während der Olympischen Spiele, die morgen offiziell eröffnet werden, müssen zahlreiche TV-Stationen der Welt zwangsläufig auf vorproduziertes Bildmaterial des chinesischen Staatsfernsehens zurückgreifen. Durch die Corona-Auflagen für Journalisten ist deren Bewegungsspielraum massiv eingeschränkt. Eine Berichterstattung ist unter diesen Bedingungen sehr schwierig. Daher hat die Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ (RoG) eigens einen Leitfaden herausgegeben. Dieser mahnt deutsche Medien eindringlich zur Vorsicht bei der Zusammenarbeit mit Chinas Staatsmedien. „Unser Handbuch soll hierzulande das Bewusstsein für Pekings internationale Medienstrategie schärfen – und Redaktionen eine Orientierung bieten, wenn sich Möglichkeiten für Kooperationen ergeben“, sagt RoG-Geschäftsführer Christian Mihr.

Kategorisch empfiehlt der Leitfaden: „Redaktionelle Kooperationen mit chinesischen Propagandamedien sollten nicht eingegangen und bestehende beendet werden“. RoG warnt, dass auch in vermeintlich neutralen Berichtssequenzen „subtil Narrative des Regimes in Peking transportiert“ werden können. Selbst wenn Bilder durch kritische Texte begleitet würden und auf die Quelle der Sequenzen hingewiesen wird, bekämen die Bilder eine Deutungsmacht, die im Sinne der chinesischen Regierung auf die Zusehenden wirkten. Bestehende Kooperationen mit staatsnahen Medien sollten „auf ein Mindestmaß“ reduziert werden.
Auf den NDR prasselte in der Vergangenheit bereits massive Kritik ein, weil er mit dem staatlichen Fernsehsender CGTN gemeinsame Diskussionsprogramme produziert hatte. CGTN ist der internationale Arm des Staatsfernsehens CCTV. Großbritannien hatte dem Sender Anfang 2021 wegen seiner Staatsnähe in Großbritannien die Sendelizenz entzogen. CGTN war daraufhin auch in Deutschland vorübergehend vom Netz gegangen. Die Deutsche Welle arbeitete früher ebenfalls eng mit dem zentralen Sendeorgan CCTV zusammen.
Olympia: Freiwillige gut geschult im Umgang mit Reportern
Während der Spiele wird es für ausländische Reporter unmöglich sein, außerhalb der olympischen Blase zu recherchieren. Die Verlockung für die Journalisten dürfte entsprechend groß sein, sich mit den vielen freiwilligen Helfern des Organisationskomitees auszutauschen. Die Journalistin Qin Liwen aus Berlin warnt im Gespräch mit China.Table aber davor, die dabei erhaltenen Informationen für persönliche Ansichten der Gesprächspartner zu halten.
„Ausnahmslos alle Volunteers und sonstige Mitarbeiter sind regelrecht geschult, Fragen entweder auszuweichen oder Antworten zu geben, die das Regime in ein gutes Licht stellen“, sagt Qin. „Das bedeutet nicht, dass man nicht fragen darf. Aber man sollte wissen, dass in Wahrheit das Propagandaministerium der Volksrepublik China zu einem spricht.“ Qin muss es wissen, denn sie war bei den Sommerspielen 2008 für den englischsprachigen Internetauftritt des Organisationskomitees BOCOG mitverantwortlich.
Um den möglichen Bedarf von Informationen und Bildmaterial in deutschen Redaktionen aus China abzudecken, empfehlen die Reporter ohne Grenzen daher wann immer möglich eine verstärkte Zusammenarbeit mit unabhängigen Medien mit China-Schwerpunkt und Sitz im Ausland. Nur „als letztes Mittel“ sollten „unter Umständen kurze Sequenzen von staatsnahen Quellen übernommen werden“. Die Zusammenarbeit mit Auslandskorrespondenten solle intensiviert werden.
Die Regierung der Volksrepublik verhindert allerdings eine Vergrößerung des Korrespondentennetzes in ihrem Land. Im Gegenteil macht sie es ausländischen Verlagen und TV-Sendern zunehmend schwer, vor Ort zu arbeiten. Vor allem US-Medien erlebten daher einen massiven Aderlass an Korrespondent:innen, weil neue Visa verweigert oder bestehende Visa kurzerhand entzogen wurden. Der Club der Auslandskorrespondenten in China (FCCC) stellte in seinem am Montag veröffentlichten Jahresbericht zudem neue Taktiken der Einschüchterung fest (China.Table berichtete). Korrespondent:innen sind demnach deutlich aggressiveren Drohungen ausgesetzt.
Die RoG fordern, dass chinesische Medien in Deutschland die „gleichen positiven Verpflichtungen“ auferlegt werden wie den heimischen Medien. Sie müssten „bestimmte grundlegende Standards“ respektieren; deren Verletzung müsse sanktioniert werden. Problematisch in der Praxis ist jedoch, dass grundlegende Standards wie Aufrichtigkeit, Pluralismus und Achtung der Menschenwürde nicht präzise definiert sind. Was manche als aufrichtig empfinden, halten andere für Fake News. Immerhin haben Verlage und Redaktionen in ihren eigenen Häusern die Möglichkeit, Standards zu definieren und ihre Partner sorgsam auszusuchen.
Reporter ohne Grenzen: Zwischen Partei und Volk unterscheiden
Vorsicht walten lassen sollte man laut RoG bei Kooperationen mit Interviewpartnern, „die ungefährliche und positive Begriffe in ihren Bezeichnungen tragen – wie Frieden, Volk, Freundschaft, Entwicklung, Verständnis, Einheit.“ Die Wahrscheinlichkeit sei sehr groß, dass es sich um Organe der sogenannten Einheitsfront handelt, die durch weltweites und unermüdliches Netzwerken in einflussreichen Teilen der Gesellschaft chinesische Positionen und Interessen verbreiten.
Das 25-seitige Handbuch entschlüsselt zudem die Argumentationslinien der Autokraten in zahlreichen Themengebieten. Beispiel Gleichsetzung von Partei, Volk und Nation: Die Partei behauptet, sie spreche für ausnahmslos alle Chinesen und Chinesinnen. Jede Kritik an ihr ist in dieser Logik ein Angriff auf das chinesische Volk. Diese Praxis nutzt das Regime seit vielen Jahren. Ein beliebter Vorwurf an Kritiker, den es gerne verwendet und von internationalen Medien ständig multipliziert wird, lautet, die Gefühle von 1,4 Milliarden Chinesen seien verletzt worden. RoG sehen darin den Versuch der Partei, „Kritik an ihrer Herrschaft abzuwenden“ und betont: „Die Unterscheidung zwischen Partei und Volk ist jedoch zentral.“
Der Wettbewerb zwischen China und dem Westen sei kein Zusammenstoß zwischen Zivilisationen, schreibt die Organisation: „Der eigentliche Wettbewerb findet zwischen repressiven Wertvorstellungen und Praktiken der KP China und den in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen festgeschriebenen Freiheitsrechten statt.“ RoG stützen sich bei ihrer Argumentation ihrerseits auf zahlreiche Medienberichte oder Publikationen westlicher Forscher:innen, wie etwa das Buch „Die lautlose Eroberung“ von Mareike Ohlberg und Clive Hamilton.
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News
Fluchtpläne für kritische Reporter
Die chinesische Regierung greift immer aggressiver in die Berichterstattung ausländischer Medien ein. Um kritische Beiträge zu verhindern, wird internationalen Zeitungen oder Fernsehstationen vor Ort zunehmend mit Klagen gedroht. Der Club ausländischer Korrespondenten in China, FCCC, zeigt sich in seinem Jahresbericht 2021 besorgt über das „halsbrecherische Tempo, mit dem die Medienfreiheit in China abnimmt„.
In dem jüngsten FCCC-Report werden Korrespondent:innen der französischen Nachrichtenagentur AFP, der US-Zeitung L.A. Times sowie einer anonymen europäischen TV-Anstalt zitiert, die von angedrohten Klagen berichten. Demnach hätten Protagonisten oder staatliche Organe die Nutzung von Informationen oder Bildmaterial unterbinden wollen. Die große Gefahr für Ausländer ist dabei, dass sie die Volksrepublik China unter Umständen nicht verlassen dürfen, wenn eine Klage gegen sie vorliegt.
Auch verbale Drohungen und physische Einschüchterungen haben weiter zugenommen. Besonders betroffen waren im vergangenen Jahr weibliche Journalisten mit asiatischer Abstammung, schreibt der FCCC. Die Korrespondentin der US-Radioanstalt NPR berichtet von Aufrufen, sie „totzuschlagen“. Ein Korrespondent der Deutschen Welle war im Sommer in der Stadt Zhengzhou von einer Gruppe Männer angegangen worden, die auch versuchten, ihm das Mobiltelefon aus der Hand zu schlagen. Insgesamt sind die Arbeitsbedingungen ausländischer Journalisten in China sind so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht. Selbst Corona wird als Vorwand zur Überwachung genutzt (China.Table berichtete).
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