- Anonyme Übersetzer wollen Verrohung offenbaren
- Sinologie-Studenten fehlt es an Landespraxis
- Britisches Parlament verzichtet künftig auf Tiktok
- Merics und Uni Trier erforschen Debatten
- Beeindruckende Dokumentation über Lockdown in Shanghai
- Standpunkt: Gründe für weniger Geburten in Xinjiang
Menschen sind manipulierbar. Das gilt für Diktaturen gleichermaßen wie für Demokratien. Wer bestimmte Informationen emotional aufbereitet und Wege findet, sie weit in der Gesellschaft zu streuen, hat ein mächtiges Werkzeug an der Hand. In einer Diktatur ist besonders die Manipulation durch den Staat ausgeprägt, weil autokratische Regierungen die Mittel haben, ihre Bürger systematisch von alljenen Informationen abzuschneiden, die ein anderes Bild zeichnen als ihr eigenes.
Entsprechend brachial und teilweise menschenverachtend kann es in chinesischen Medien oder Sozialmedien zugehen. Aufgeputschte Nationalisten potenzieren die Emotionalität, die der Staat mit seiner Propaganda provoziert. Der Hass, der beispielsweise auf Nancy Pelosi projiziert wurde, mündete gar in Morddrohungen. Diese Auswüchse sind der Regierung genehm, weil sie ihre Politik innerhalb der Bevölkerung bestärken. Die strengen Zensoren drücken dann gerne ein Auge zu.
Ein Gruppe von Aktivisten außerhalb China hat sich deshalb seit einer Weile zur Aufgabe gemacht, besonders scharfe und maßlose Kommentare aus dem chinesischen Internet zu übersetzen und beim Kurznachrichtendienst Twitter zu veröffentlichen. Das Interesse an dem Kanal wächst kontinuierlich. Fast 200.000 Menschen folgen ihm bereits, weil er für Nicht-Sinologen interessante Einblicke ermöglicht.
Die dolmetschenden Dissidenten sollen angeblich schon Chinas Staatsmedien dazu bewegt haben, deren schrillen Nationalismus etwas zurückzufahren, um einen weiteren Imageverlust des Landes im Ausland zu verhindern. Mag sein, mag nicht sein. Spätestens seit dem Pelosi-Besuch hat das offizielle China sowieos seine Contenance verloren. Die Morddrohungen kamen nicht aus den Sozialmedien, sondern von jenen, die sie im Auftrag des Staates befeuern.
Marcel Grzanna

Analyse
Dolmetschende Dissidenten
Fabian Peltsch
Als Tiziano Terzani, der 2004 verstorbene ehemalige China-Korrespondent des Spiegel, einmal einen chinesischen Kader auf Mandarin ansprach, soll dieser sich zu seinen Untergebenen umgedreht und gefragt haben: „Welcher Verräter hat ihm unsere Sprache beigebracht?“
Ähnlich überfordert verhält sich die chinesische Regierung derzeit gegenüber einem Twitter-Account, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, chinesischen Content in verschiedene Sprachen zu übersetzen. Der Kanal, der unter dem Namen und Hashtag #TheGreatTranslationMovement (大翻译运动官方推号) arbeitet, überträgt Beiträge aus offiziellen staatlichen Medien sowie chinesische Social-Media-Kommentare ins Englische, Japanische, Französische, Koreanische, Spanische und Arabische. Dabei werden vor allem Kommentare ausgewählt, die in China besonders viele Likes und Shares generiert haben.
Ziel sei, der Welt zu zeigen, wie arrogant, nationalistisch, empathielos, grausam und manchmal auch blutdürstig die öffentliche Meinung in China sein kann, erklärt ein anonymes Mitglied des Netzwerks in einem chinesischen Beitrag der Deutschen Welle. So findet sich auf dem Kanal etwa der Kommentar eines Shanghaier Universitätsdozenten der namhaften Fudan Universität, der auf Weibo erklärt hatte, dass das Butscha-Massaker nur eine inszenierte Show gewesen sei.
- Gesellschaft
- Zivilgesellschaft
Jetzt weiterlesen
… und 30 Tage kostenlos dieses Professional Briefing kennenlernen.
Sie sind bereits Gast am China.Table? Jetzt einloggen