Gabriel Felbermayr: Abkoppelung von China kann für Europa teuer werden
Liebe Leserin, lieber Leser,
die chaotische Lage in Afghanistan dominiert weiterhin das Weltgeschehen. Manche Beobachter glauben, dass China von der Machtübernahme der Taliban profitieren kann. Doch das ist keineswegs ausgemacht, wie der erfahrene Journalist und Afghanistan-Experte Cem Sey in unserem heutigen Interview erläutert. Die ökonomischen Möglichkeiten in Afghanistan werden vielfach zu optimistisch dargestellt, sagt Sey. China sorge sich weiterhin vor allem um die Sicherheit in der Region. Zu Recht, wie ein erneuter Terroranschlag auf chinesische Ingenieure in Pakistan zeigt.
Unterdessen ist die US-Vizepräsidentin Kamala Harris in den Indopazifik gereist, um in Singapur und Vietnam um Vertrauen zu werben. Hintergrund ist auch hier der überstürzte Abzug der US-Truppen aus Afghanistan. Ihre Botschaft: Wir sind noch da, und wir sind verlässlich. In der Region sorgt man sich vor allem um Chinas Bestrebungen um Vorherrschaft im Südchinesischen Meer. Chinesische Stimmen haben bereits gestreut, das Chaos in Afghanistan bedeute nichts Gutes für Taiwan und andere US-Verbündete. Das lässt die Harris-Visite umso dringender erscheinen.
Eine weitere laufende Debatte dreht sich um eine mögliche Entkopplung der westlichen Wirtschaften von China. Zu den Auswirkungen hat das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel Berechnungen angestellt. Diese ergaben, dass ein sogenanntes Decoupling die Europäer voraussichtlich teuer zu stehen käme. Die Details erläutert IfW-Präsident Gabriel Felbermayr im heutigen Standpunkt. Als Medienpartner wird China.Table eine Diskussionsreihe des Instituts mit Namen China Global Conversations begleiten.
Viel Spaß beim Lesen des heutigen Table wünscht
Ihre
Christiane Kühl
Interview
„China und die Taliban haben zueinander ein pragmatisches Verhältnis“
Der Journalist Cem Sey lebte als Korrespondent der Deutschen Welle drei Jahre in Afghanistan.
Wird China die Lücke füllen, die die USA am Hindukusch hinterlassen? Militärisch nicht, sagt der Journalist und ehemalige Afghanistan-Korrespondent Cem Sey im Interview mit China.Table. Doch der pragmatische Umgang Pekings mit den Taliban könnte China wirtschaftliche Möglichkeiten bescheren, auch wenn der afghanische Rohstoffreichtum eher ein Mythos ist. Mit Sey sprach Felix Lee.
Herr Sey, nach dem Debakel des Westens in Afghanistan – ist China der große Profiteur?
Das lässt sich so noch nicht sagen. Natürlich ist nach dem Fall Kabuls und der Machtergreifung durch die Taliban eine geopolitische Lücke entstanden. Der Westen wird diese Lücke nicht mehr füllen. Und ja, China will gerne gute Beziehungen zu Afghanistan haben. Das hat die chinesische Führung auch schon angekündigt. China pflegt zudem gute Beziehungen zu Pakistan. Und Pakistan steht hinter der Taliban.
Das heißt: Für die Chinesen könnte eine Region entstehen, in der sie im Rahmen ihrer Belt-and-Road-Initiative Eisenbahnlinien und dergleichen bauen könnten. Ein Hindernis bleibt aber: die Nähe der Taliban zu gewalttätigen islamistischen Terrorgruppen. Wenn Extremisten in Afghanistan Fuß fassen, die womöglich die Extremisten unter Uiguren in China unterstützen, würde das Peking überhaupt nicht gefallen. Deswegen, denke ich, werden die Chinesen zunächst einmal sehr vorsichtig agieren.
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