Wir brauchen keinen Bildungsgipfel

Digitalstaatssekretär Muhle sagt: Wir könne nicht auf Microsoft setzen
Stefan Muhle (CDU), Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung

Gastbeitrag von Stefan Muhle

Egal aus welchem Blickwinkel oder mit welchem besonderen Interesse man den Koalitionsvertrag der selbsternannten Fortschrittsregierung und die Pläne zum Digitalpakt liest – es fällt auf, dass die Ampel mehr diskutieren und Möglichkeiten zum Dialog bieten möchte. Sie sollen beispielsweise „Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag eingesetzt“ werden. Und auch ein „Bildungsgipfel“ wollen die Koalitionäre einberufen. Aber: Fehlen uns tatsächlich Gelegenheiten für Diskussionen? Ich meine: nein! Was uns fehlt sind Entscheidungen! Schnelle, klare und mutige Entscheidungen. Für Schulen gilt das ganz besonders.

Deutschland ist in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem aus zwei Gründen ein überwiegend analoges Land geblieben: zum einen hat der Staat und sein Apparat das Digitale und insbesondere seine Bedeutung für die Zukunft nicht verstanden und sich deshalb auch nicht gekümmert. Zum anderen nehmen uns die föderalen und behördlichen Strukturen in unserem Land jede Möglichkeit einer dringend notwendigen Tempoverschärfung. Daraus erwächst eine Komplexität, die Entscheidungen und ihre Tragweite unüberschaubar machen, die selbst erfahrene PolitikerInnen zögern lassen, auch gegen Widerstände Entscheidungen zu treffen. Und es erwächst letztlich eine Absicherungsmentalität, die ganze Apparate lähmt. 

Arbeitsgruppen lassen Zeit von der Uhr laufen, die es nicht mehr gibt

Die Komplexität lässt sich nicht durch Diskutieren auflösen. Die vorgesehene Einsetzung einer „Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und Kommunen“, um die „Bildungszusammenarbeit“ zu strukturieren und zu verbessern, lässt nur Zeit von der Uhr laufen, die wir nicht mehr haben. Auch das Arbeitsziel, „noch im ersten Halbjahr 2022 … Vorschläge für kurzfristige Lösungen“ zu identifizieren, um den Mittelabfluss im Digitalpakt Schule zu beschleunigen, ist mehr Verlegenheit und Ratlosigkeit geschuldet als Ausdruck von mutigem Entscheidungswillen. 

Der Digitalpakt zeigt im Übrigen deutlich das Dilemma im Kontext von Föderalismus, Digitalisierung und Bildung. Im Frühjahr 2019, nach jahrelanger Diskussion, hat der Bundesrat dem Digitalpakt Schule zugestimmt. Der Digitalpakt, ohnehin ein Etikettenschwindel, weil es mehr Selbstverständlichkeiten sind, die man dort fördert, kommt seitdem nicht in Gang. Jahrgang für Jahrgang verlässt unsere Schulen, ohne dass diese den jungen Menschen eine angemessene Lernumgebung bieten und digitale Kompetenzen vermitteln konnten. Das wird sich auch durch die Analyse in einer neuen „Arbeitsgruppe“ nicht ändern. Hier hilft nur eine Systemumkehr. 

Wir brauchen eine Systemumkehr beim Digitalpakt Schule

Der digital inkompetente Staat ist zum Nadelöhr für zügige, fachlich kompetente und unkomplizierte Prozesse und Abläufe geworden. Wo es möglich ist, sollte man dieses Nadelöhr umgehen. Im Fall des Digitalpaktes hieße das: die Schulen bekommen klare Vorgaben mittels Whitelist, was sie mit den Geldern machen können und schon morgen das Budget, das ihnen zusteht. Die korrekte Verwendung lässt sich auch nach Abschluss aller Maßnahmen prüfen. Fertig. Nur wenn staatliche Ebenen bereit sind, sich gegenseitig zu vertrauen; nur wenn Ministerialbeamte bereit sind, Beamten im Schuldienst zu vertrauen; wenn wir das Subsidiaritätsprinzip mit Leben füllen und auf die fachliche Kompetenz vor Ort in den Schulen setzen – werden wir den Schulen gerecht. Und Digitalisierungsprozesse dramatisch beschleunigen können. 

Ein gutes Signal sendet der Koalitionsvertrag in den Zeilen 252 folgende. Hier deutet die Ampel an, dass sich die Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik mit Blick auf die föderalen Strukturen erhöhen ließe. Zum Beispiel könnte das durch „transparentere und effizientere Verteilung der Aufgaben“ geschehen. Dabei wird der Bildungsbereich explizit genannt. Aber auch hier wieder: sie wollen all dies diskutieren, gelabelt als „Föderalismusdialog„. Wir brauchen dringend eine Neujustierung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich. Das müssen allerdings Parallelprozesse sein: einerseits die Systemumkehr beim Digitalpakt wie beschrieben jetzt und gleichzeitig die langfristig wirkende Überarbeitung der föderalen Aufgabenverteilung.

Service und Beratung: Aus einer guten Idee wird ein Bürokratiemonster

Hellhörig werden sollte jeder in Politik und Verwaltung, wenn eine Maßnahme wie der Digitalpakt zum besseren Verständnis und zur stärkeren Inanspruchnahme offensichtlich ein „Service- und Beratungsangebot“ braucht. Dann nämlich ist die Maßnahme als solche schlecht gemacht. So wird aus jeder im Kern guten Idee ein elendes Bürokratiemonster, mit dem wir Abläufe maximal kompliziert machen und Ressourcen verschwenden – auf allen Ebenen. Und der Frust bei allen Beteiligten kommt noch gratis dazu. Deshalb hätte ich gerne im Koalitionsvertrag gelesen, dass in der Bildung ab jetzt vom Schüler, von der Lehrerin oder der Schulleitung aus gedacht wird. Das wäre ein Novum. Und auch hier die nötige Systemumkehr.

Kinder verdienen beste Bildung.“ Dieser Satz steht in Zeile 3112 des Ampelkoalitionsvertrages. Eine als Fortschrittsregierung bezeichnet werden wollende neue Mehrheit müsste eigentlich den politischen Mut aufbringen, es bei diesem Satz zu belassen. Denn er ist in Worten das Beste, was allen an Schule Beteiligten zugesagt werden kann. Schreibt man dann doch weiter, darf man später nicht formulieren, dass man „einen Digitalpakt 2.0 für Schulen mit einer Laufzeit bis 2030 auf den Weg bringen“ wird. Denn solche Sätze schränken das Versprechen auf beste Bildung schon wieder drastisch ein.

Digitalpakt: Lehrer vom IT-Support entlasten, Schulleitern Whitelists geben

Wer den Vier-Wörter-Satz dann doch ergänzt, der hätte zum Beispiel schreiben müssen: „Kinder verdienen beste Bildung. Dazu gehört für uns, dass Schülerinnen und Schüler zeitgemäß lernen können, dass ihre Lehrerinnen und Lehrer von berufsfremden Aufgaben wie der Wartung und Instandhaltung von Schul-IT vollständig entlastet sind und Schulleitungen mit klaren datenschutzrechtlichen Vorgaben in Form von Whitelists schnelle Entscheidungen für den digitalen Schulalltag treffen können.“

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