
Die Organisation des Schul-Ganztags – offen, teilgebunden oder gebunden – bleibt ein Streitpunkt, der Ministerien wie Verbände bewegt. Und stets schwingt die Frage mit: Mit welchem Modell erreichen wir die Kinder, die besonders viel Unterstützung brauchen? Das beschäftigt auch unsere Forschungsabteilung am DIW.
Eine jüngst als DIW Discussion Paper erschienene Untersuchung auf Basis des sozio-ökonomischen Panels (SOEP) zeigt nun: Grundschüler, die in einem offenen Modell freiwillig in die Ganztagsbetreuung gehen, profitieren am stärksten – gerade in Bezug auf ihr Sozialverhalten (Download der Studie).
Genauer: Kinder im Alter zwischen neun bis zehn Jahren, die freiwillig eine Ganztagsbetreuung besuchen, weisen eine bessere psychische Gesundheit auf, sind offener, extrovertierter und emotional stabiler. Demgegenüber steht die zentrale Erkenntnis: Bei Kindern, die sich nicht freiwillig für das Ganztagsmodell entscheiden, sind diese Effekte nicht nachweisbar.
Hausaufgabenbetreuung erzielt kaum Erfolge
Bei den klassischen Schulleistungen – gemessen in Form der Mathe- und Deutschnoten – sind die Effekte wieder anders gelagert: Hier profitieren von der Ganztagsbetreuung weder die Gruppe der Freiwilligen noch der Unfreiwilligen. Die Befunde unterstreichen, dass die Hausaufgabenbetreuung – wenn man alle Schüler vergleicht – bislang nicht die erhofften Erfolge erzielt.
Immerhin: Nachweisbar sind Effekte bei Kindern mit alleinerziehenden Eltern – eine im Bildungssystem benachteiligte Gruppe. Sie schreiben zumindest bessere Deutschnoten – ein Beitrag zu mehr Chancengleichheit.
Ausgangspunkt meiner Untersuchung war, die Wirkungen der Ganztagsbetreuung, wie oben geschildert, mit Selektionsmechanismen (freiwilliger Besuch – unfreiwilliger Besuch) in einen Zusammenhang zu bringen. Das gelingt mit einer empirischen Methode namens Marginal Treatment Effects (MTE).
Unterschieden werden Kinder mit hoher und niedriger Resistenz. Vereinfacht meint das: Kinder mit einer niedrigen Resistenz nehmen eher freiwillig am Ganztag teil. Sozio-ökonomische Merkmale wie der Migrationshintergrund, Bildungsgrad und das Einkommen der Eltern sind bereits rausgerechnet. Für die Resistenz sind Aspekte entscheidend, die nicht direkt in den Daten enthalten sind – zum Beispiel: die Motivation des Kindes und die Präferenz der Eltern für die Art der Nachmittagsbetreuung.
Bestätigung für offenes Ganztagsmodell in Grundschulen
Mithilfe der MTE-Methode wies eine frühere Studie beispielsweise nach, dass Kinder mit Migrationshintergrund besonders vom Besuch eines Kindergartens profitieren. Nur genau diese Gruppe besucht seltener eine Kita – aufgrund der hohen Resistenz der Eltern (zum Download). Das Gegenteil ist bei jungen Erwachsenen der Fall. Hier weiß man, dass Personen, die freiwillig höhere Bildungsangebote wie Universitäten wahrnehmen, auch am meisten davon profitieren (zum Download). Was bislang ungeklärt war: Wie sieht es in der Altersgruppe zwischen Kita und Universität aus? Welche Rolle spielt hier die Präferenz der Eltern für ein bestimmtes Ganztagsmodell? Was bedeutet meine Analyse also für den Ganztagsausbau in Deutschland?
Sie belegt – entgegen einiger bildungspolitischer Ideologie – klar die positiven Effekte bei einer offenen Gestaltung des Ganztags, bei der sich Eltern und Kinder freiwillig entscheiden. Genau dieses Modell dominiert in den Grundschulen sowieso. Die Ergebnisse unterstreichen: Kinder, die freiwillig am Ganztag teilnehmen, entwickeln dort ihre sozio-emotionalen Fähigkeiten weiter. Das hat große Bedeutung für den Bildungserfolg – und damit auch die spätere Berufskarriere.
Bund und Länder müssen sich auf Qualitätsstandards einigen
Ein ernstes Problem ist der zweite Befund, der die Leistungen der Schüler*innen betrifft: Der reine quantitative Ausbau vom Ganztag hin zum Rechtsanspruch für Grundschulkinder bis 2026 wird nicht ausreichen, um dem jüngst vom IQB bescheinigten Abwärtstrend entgegenzuwirken.
Bund und Länder müssen Geld in die pädagogische Qualität der Hausaufgabenbetreuung an Ganztagsschulen investieren. Einheitliche Qualitäts- und Ausbildungsstandards – und somit besseres, qualifizierteres Personal – könnten für einen solchen qualitativen Ausbau sorgen. Unter einem schnellen, rein quantitativen Ausbau leidet die Qualität. Das zeigt die Situation an den Kitas, in denen der Rechtsanspruch personell kaum zu bewerkstelligen ist.
Eine zentrale Limitation unserer Studie ist übrigens, dass sie die äußerst „datenhungrige“ MTE-Analyse auf die Daten der sozio-ökonomischen Panels anwendet. Wenngleich solche Längsschnittdaten wichtige Ressourcen für die Bildungsforschung sind, stößt man mit der geringen Fallzahl bei Methoden wie den MTE schnell an Grenzen.
Deutlich präzisere Ergebnisse ließen sich mit amtlichen Vollerhebungen wie den Vergleichsarbeiten (VERA) erzielen – insbesondere wenn sich diese mit Sozialversicherungsdaten verknüpfen ließen. Diese Daten stehen der Forschung aber nicht zur Verfügung. Das verhindert wichtige Erkenntnisse, wie Ingo Isphording zuletzt im Bildung.Table treffend kommentiert hat.
Lesen Sie hier den Gastbeitrag: Die Datenlage ist ein Flickenteppich
Laura Schmitz ist Ökonomin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin. Sie forscht unter anderem zu den Wirkungen von Reformen im Bildungsbereich und an der Schnittstelle zwischen Sozial- und Umweltpolitik.