
Ein Gastbeitrag von Richard Münch
Seit drei Jahrzehnten stehen Schulreformen weltweit auf der Tagesordnung. Sie sollen Bildungsleistung verbessern, Leistungsunterschiede abbauen und Auswirkungen des familiären Hintergrunds auf die Leistung verringern. Diese Reformen haben einen gemeinsamen Kern, der den Schwerpunkt auf Schulautonomie, freie Schulwahl, Wettbewerb zwischen Schulen, starkes Schulmanagement, hohe Lehrerqualität und testbasierte Rechenschaftspflicht von Schulen legt.
Allerorts wurden Bildungssysteme in diesem Sinne umgebaut. Doch klafft eine Forschungslücke: Wir wissen nicht ausreichend, inwieweit die Anwendung von Steuerungsinstrumenten im Rahmen der globalen Reformagenda einen Unterschied macht. Daher haben wir statistische Analysen durchgeführt, um den Zusammenhang zwischen den Reformen und den individuellen Schülerleistungen sowie Leistungsunterschieden aufgrund des familiären Hintergrunds zu untersuchen. Dazu haben wir PISA-Ergebnisse aus dem Vereinigten Königreich (ohne Schottland), Deutschland, Schweden und Finnland aus den Testwellen 2000, 2009 und 2015 herangezogen. Haben sich die Leistungen im Laufe der Zeit, mit den fortschreitenden Reformen, verbessert und die Leistungsungleichheiten verringert?
Starke Reformen in Großbritannien, gemäßigte in Finnland
Im Vereinigten Königreich wurden seit den 1980er Jahren umfangreiche Reformen durchgeführt, von denen die konsequentesten in England die freie Schulwahl auf einem Bildungsmarkt, eine größere Autonomie der Schulen und im Gegenzug eine verstärkte Leistungskontrolle beinhalteten. Das ursprünglich gegliederte Schulsystem wurde bis auf 163 Gymnasien zugunsten eines Gesamtschulsystems abgebaut. In Deutschland wurde nach dem „PISA-Schock“ von 2000 das Monitoring der Schulen ausgeweitet und in einigen Bundesländern wie z. B. Niedersachsen die Autonomie der Schulen bei gleichzeitiger Betonung der Selbstkontrolle und Rechenschaftspflicht gestärkt. Bildungsmärkte wie im Vereinigten Königreich wurden jedoch nicht eingerichtet, und das gegliederte Schulsystem mit dem Gymnasium an der Spitze wurde beibehalten.
Schweden hat seit Anfang der 1990er Jahre umfassende marktorientierte und auf verstärkte Rechenschaftspflicht ausgerichtete Reformen vollzogen. Finnland hat sich seither ebenfalls an der globalen Reformagenda orientiert, allerdings in gemäßigterer Form. Der Schwerpunkt lag auf Dezentralisierung, Verantwortung der Gemeinden, Diversifizierung der Lehrpläne und Erleichterung der Schul- oder Lehrplanwahl durch die Eltern. Auf strenge Maßnahmen der Rechenschaftspflicht verzichtete man. Die Treuhänderschaft der Lehrer blieb weiterhin im Vordergrund.
Effekte der effektiven Schulsteuerung
Betrachtet man die Ergebnisse für das Vereinigte Königreich, so belegen die von uns konsultierten empirischen Studien, dass die forcierte Förderung der freien Schulwahl auf Bildungsmärkten nicht mit einer Steigerung der Bildungsleistungen einherging. Vielmehr reproduzierten oder verstärkten sich sogar Bildungsungleichheiten. Die größere Autonomie der Schulen, gepaart mit verschärfter Leistungskontrolle, hat die Dokumentationsarbeit von Schulleitungen und Lehrern massiv erhöht und den Unterricht auf zentrale Fächer und Testvorbereitung verengt.
Für Deutschland gibt es im Gegensatz zum Vereinigten Königreich weniger empirische Studien zu den Wirkungen der Reformmaßnahmen. Die Bildungsberichterstattung des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) belegt jedoch eindeutig, dass es keine signifikanten Leistungsverbesserungen gegeben hat und dass nach wie vor große Leistungsunterschiede aufgrund des familiären Hintergrunds bestehen.
Weder im Vereinigten Königreich noch in Deutschland: Unsere statistische Analyse der PISA-Daten hat keine Belege dafür erbracht, dass die marktorientierten oder bürokratisch-professionellen Reformstrategien, die auf eine umfassende Überwachung der Schulen abzielen, mit sichtbaren Leistungssteigerungen und einer signifikanten Verringerung der Leistungsunterschiede nach sozialer Herkunft verbunden gewesen wären. Der sozioökonomische Status der besuchten Schule im Schülerdurchschnitt und des einzelnen Schülers sowie in weit geringerem Maße die Schuldisziplin sind von entscheidender Bedeutung. In Deutschland zeigt sich dies nach wie vor in einem in Leistungsklassen gegliederten Schulsystem, inzwischen aber auch in einer zunehmenden Leistungsdifferenzierung im Gymnasium.
Geringere Chancengleichheit in Schweden und Finnland
Im Gesamtschulsystem des Vereinigten Königreichs sehen wir eine etwas geringere Leistungsdifferenzierung zwischen den Schulen nach dem durchschnittlichen sozioökonomischen Status ihrer Schüler und eine etwas stärkere Leistungsdifferenzierung innerhalb der Schulen nach dem sozioökonomischen Status des einzelnen Schülers als in Deutschland. Allerdings wird der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Leistungen der Schüler im Vereinigten Königreich dadurch etwas unterschätzt, dass dort im internationalen Vergleich ein sehr niedriger Prozentsatz der Fünfzehnjährigen am PISA-Test teilgenommen hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass die leistungsschwächeren Schüler im Test unterrepräsentiert waren, ist sehr hoch.
Was Schweden und Finnland betrifft, so haben unsere Literaturrecherche und statistischen Analysen der PISA-Daten keine Anhaltspunkte dafür erbracht, dass marktbasierte Reformen in Schweden und Dezentralisierungsreformen in Finnland zu sichtbaren Erfolgen geführt hätten. Die Reformstrategien ändern nichts an der überragenden Wirkung struktureller Faktoren und ihrer institutionellen Verankerung im Schulsystem. Anders als von der globalen Reformbewegung postuliert, haben sich die Steuerungsinstrumente weder in Schweden noch in Finnland als wirksam erwiesen.
Der durchschnittliche sozioökonomische Status der Schüler einer besuchten Schule und des einzelnen Schülers ist entscheidend. Vor dem Hintergrund größerer sozialer Ungleichheit und stärkerer Differenzierung durch Wettbewerb im Schulsystem ist dies in Schweden mehr und früher der Fall gewesen als in Finnland. Aber auch Finnland hat sich in diese Richtung entwickelt. Die Verringerung der Chancengleichheit in Finnland ist auf das Zusammentreffen dreier Veränderungen zurückzuführen: die verstärkte Nutzung der Schul- oder Lehrplanwahl durch die besser gestellten Eltern im Vergleich zu den schlechter gestellten, die zunehmende Heterogenität der Bevölkerung durch Zuwanderung und die geringere Unterordnung unter die Autorität der Lehrer als das in der Vergangenheit der Fall war. Da es keine Belege für den Erfolg der globalen Reformbewegung gibt, ist unsere Schlussfolgerung für die Politik, diese Agenda zu überdenken.
Richard Münch ist Seniorprofessor für Gesellschaftstheorie und komparative Makrosoziologie an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen am Bodensee. Der hier veröffentlichte Beitrag resultiert aus einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt über „Effektive Schulsteuerung“.