Gastbeitrag von Sven Ripsas
Obwohl Entrepreneurship seit der Lissabon-Agenda eines der wichtigsten Bildungsziele in Europa ist und in den letzten 20 Jahren mehr 100 Lehrstühle für Entrepreneurship an deutschen Hochschulen eingerichtet wurden, hat es keinen wirklichen Durchbruch an Grund- und weiterführenden Schulen gegeben. Was sind die möglichen Gründe?
Die EU-Kommission definiert Entrepreneurship wie folgt: „Entrepreneurship is when you act upon opportunities and ideas and transform them into value for others. The value that is created can be financial, cultural, or social“. Automatische Übersetzungsprogramme im Internet machen daraus „Unternehmertum ist, wenn man Chancen und Ideen wahrnimmt und sie in Werte für andere umwandelt. Der Wert, der geschaffen wird, kann finanzieller, kultureller oder sozialer Art sein.“
Mal ganz unabhängig davon, dass die meisten Menschen überrascht sein dürften, dass Entrepreneurship nicht allein die finanzielle, sondern auch die soziale und kulturelle Sphäre umfassen kann, ist es problematisch, Entrepreneurship mit Unternehmertum zu übersetzen. Stattdessen soll hier für die Übersetzung mit dem Begriff „Unternehmergeist“ plädiert werden, denn nicht umsonst heißt es im Amerikanischen „Entrepreneurship is a Mindset“. Dort steht das Kreative, das Unangepasste, der Pioniergeist, in Verbindung mit Sparsamkeit und wirtschaftlichem Wissen im Vordergrund. Sparsamkeit heißt in diesem Zusammenhang
zunehmend „sparsamer Verbrauch von natürlichen Ressourcen“ oder besser gleich eine Innovation in Richtung Kreislaufwirtschaft, die unseren Planeten erhalten kann.
Große Skepsis gegenüber dem Unternehmertum
Der Begriff Entrepreneurship ist sperrig und in der deutschen Sprache nicht etabliert und es gibt keine allgemein akzeptierte Übersetzung. Darüber hinaus gibt es unter den vielen Beschäftigten im Bildungs- und Medienbereich eine tiefverwurzelte Skepsis gegenüber dem Markt. Es kommen also Sprachbarrieren, Fehlinterpretationen und generelle Marktaversion zusammen. Und so haben es gemeinnützige Vereine, wie die deutsche NGO „Network for Teaching Entrepreneurship e. V.“ nicht leicht, im komplexen deutschen Bildungsföderalismus, sich durchzusetzen, obwohl die meisten Schüler:innen, die am Entrepreneurship teilnahmen, sich in ihren Interessen so ernst genommen fühlen, wie sonst in kaum einem anderen Unterrichtsfach.
Die exakte Verwendung von Sprache ist also entscheidend, wenn es gilt, einen neuen Begriff einzuführen, der unsere Einstellung zur Ökonomie und damit die Bildungskultur im 21. Jahrhundert ändern könnte. Seit Marx hat es das Fachgebiet Wirtschaft im deutschen Bildungswesen ohnehin nicht leicht. Wenn, dann ist es meist nur in Kombination mit Politik und Technik in einem thematischen Dreiklang vertreten und der Kapitalismus wird kritisch gesehen.
Damit nähern wir uns dem Kern der Probleme der Entrepreneurship in Deutschland, dem kaum bekannten Unterschied der ökonomischen Funktionen von Kapitalist und Entrepreneur. Israel M. Kirzner, New Yorker Ökonom und Vertreter der österreichischen Schule der Wirtschaftswissenschaften, hat diesen Unterschied klar herausgearbeitet. Der Beitrag des Entrepreneurs zur Ökonomie sind neue Ideen für einen verbesserten Kundennutzen und / oder eine neue, z. B. ökologischere Produktionsweise. Ihr wachsamer Blick („Alertness“)
auf die Welt ist anders als der Mehrheit. Das Etablierte wird herausgefordert.
Das Kreative des Entrepreneurs wird kaum gesehen
„Entrepreneurship does not consist of grasping a free ten-dollar bill which one has already discovered to be resting in one’s hand; it consists in realizing that it is one’s hand that it is available for the grasping…“. Es ist das ökonomisch Kreative, das Pionierhafte, das den Entrepreneur auszeichnet. Demgegenüber steht der Kapitalist, dessen einzige Funktion in der Marktwirtschaft das Zurverfügungstellen von Kapital ist. Dabei wird stets die bestverzinste Alternative gewählt. Ein Kapitalist ist Gewinnmaximierer (und darauf kann und soll die
Besteuerung abzielen). Ein Entrepreneur ist der zunächst nicht viele Mittel verfügende Herausforderer. Er (oder sie) muss haushalten, Neues ausprobieren und in Unsicherheit entscheiden.
In den Medien ist das Bild vom Entrepreneurship kaum fundierter als in den Bildungsinstitutionen. Die Hauptnachrichtensendungen im TV bezeichnen den Vorstandsvorsitzenden von Aktiengesellschaften als Vertreter des Unternehmerlagers. Dies ist rechtlich korrekt, aber im Englischen käme niemand auf die Idee, den CEO von Apple als Entrepreneur zu bezeichnen. Ein (Startup-)Entrepreneur geht persönlich finanzielle Risiken ein, steht mit seiner Sicht der Dinge oft im Gegensatz zum herrschenden Zeitgeist. Zumeist verfügt er
nicht über viele Eigenmittel – ganz im Gegenteil. Und so muss sie (oder er) Businesspläne schreiben, um Banken und Investoren zu überzeugen, Kapital zur Verfügung zu stellen.
Schule muss ein neues Unternehmerbild vermitteln
Mit der Kenntnis über diese Rollenverteilung von Entrepreneur und Kapitalist und der Einbeziehung der sozialen und kulturellen Sphäre kann ein Weg aufgezeichnet werden, die Problemen der deutschen Entrepreneurship Education zu überwinden und einen Beitrag zu mehr ökonomischer Teilhabe von großen Teilen der Bevölkerung zu ermöglichen. Anstelle der Ausrichtung der Politik am Kapital allein, sollte die Vermittlung des Wissens um die Prozesse zur Umsetzung von Innovationen und das Verständnis grundlegender Marktprozesse intensiviert werden.
Entrepreneurship wird in vielen Ländern der Welt mittlerweile als kreatives Lösen von Zukunftsherausforderungen verstanden und in Basisgruppen und NGO eingesetzt, um echte Teilhabe am Wirtschaftsleben zu ermöglichen. Entrepreneurship Education ist Empowerment, die Befähigung zur eigenständigen, von anderen und dem Staat unabhängigen Lebensführung. Unter Einbeziehung der ökologischen Determinante (z.B. Stopp des CO2-Ausstoßes) und der Nutzung von digitalen Kenntnissen, kann eine die soziale Marktwirtschaft vermittelnde Bildung ein wichtiges Element für alle Schülerinnen und Schüler sein. Entrepreneurship fördert Selbstvertrauen und bildet sich ihrer Bedeutung in der Gesellschaft bewusste und verantwortungsvolle Bürger aus. Und gerade für die, die nicht aus einem bildungsnahen Haushalt kommen, ist Entrepreneurship vielleicht die beste Chance, zu Wohlstand und zu Anerkennung zu gelangen. Im Dreiklang aus Ökologie, Ökonomie und Digitalisierung liegt die Zukunft der Bildung. Die Zukunft gehört der Entrepreneurship Education.
Sven Ripsas ist Professor für Entrepreneurship an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR).