
Gastbeitrag von Zolltan Farkas
Es herrscht de facto ein Oligopol der Bildungsverlage. Sprichwörtlich jedes Kind kennt Klett, Westermann und Cornelsen. Sie belegen im Ranking aller deutscher Verlage die Plätze drei, vier und sieben; setzen 333 Millionen Euro (Klett) bis „nur“ 254 Millionen Euro (Cornelsen) um. Diese drei Verlage teilen sich 90 Prozent des Schulbuchmarktes. Und das im Prinzip seit dem Zweiten Weltkrieg.
Diese alt gewachsenen Strukturen treffen auf heterogen fortgebildete Lehrkräfte, die Lust haben, Unterricht für das 21. Jahrhundert zu machen. Im November 2020 gründete ich daher mit drei weiteren Menschen zusammen einen eigenen Indepent-Verlag. Wir planen ein digitales Englischlehrwerk, das neueste didaktische Erkenntnisse anwendet und das Lernen unter den Aspekten der Digitalität ermöglicht. Nach vielen Gesprächen mit Behörden, Bildungswirtschaft und Politik, merken wir: Wir stoßen an Grenzen. Zu fest sitzen die großen Bildungsverlage im Sattel, zu langsam bewegen sie sich Richtung Zukunft.
Das Tuppersystem der Schulbuchverlage
Vor allem die großen Verlage sind in Bildungsministerien und Schulen bekannt. Zugrunde liegt eine Vertriebsstrategie, welche einer Art Tuppersystem gleichkommt – ein Vertreter besucht die Schule und lässt Probeexemplare und kleine Goodies da. Wenig überraschend kaufen die Schulen dann bei einem der Verlage ein – und das zumeist auf Jahre hin, denn Bücher werden in Schulen ja verliehen.
Im Umkehrschluss bedeutet das: Die Verlage haben eine Lizenz zum Gelddrucken. Nehmen wir das Schuljahr 2020/21. Knapp 700.000 Kinder kamen in die 5. Klasse. Allein im Fach Englisch wurden pro Schulkind ein Workbook, ein mehrfach verliehenes Buch und ganz vielleicht sogar ein Zugang zu einer Lernsoftware fällig. Konservativ geschätzt verkaufen die Verlage also nur für das Fach Englisch pro Jahr Waren im Wert von knapp 10 Millionen Euro. Und dabei gehen wir von einer Verleihdauer der Bücher von fünf bis zehn Jahren aus – bittere Realität.
Eine graue Webseite holt Schüler nicht ab
Warum also sollte sich ein Verlag in neues Terrain bewegen, wenn ihm seine Kunden immer wieder alles abkaufen? Ein Mitarbeiter eines Verlages verriet mir einmal: Das, was die Verlage gerade herausbringen, ist genau das, was die Verlage auch können. Es fehlt schlicht an kreativen Impulsen aus den Verlagen. Schaut man sich beispielsweise den E-Course von Klett an, ein digitales Lehrmittel, fällt gleich das unzeitgemäße Design auf. Im Prinzip eine sich immer weiter aufklappende Webseite in Grau (!).

Menschen, die sich den ganzen Tag in digitalen Hochglanzformaten wie Instagram, Snapchat oder TikTok bewegen, holt ein grau-weißes Baukastensystem nicht wirklich ab. Die Folge: Die Lernenden beschäftigen sich mit dem lieblos designten Content, also den Filmen oder PDF-Dokumenten, nicht aus eigener Motivation, sondern wegen der Schulnote.
Ganz anders ist beispielsweise der Content von Simpleclub. Das sind Menschen, die den mühsamen Weg gehen, Inhalte anders aufzubereiten und die Kunden anders anzusprechen – bis in leicht joviale Sprecharten hinein. Lehrer Schmidt erklärt die Mathematik fast anachronistisch mit einem abgefilmten Blatt Papier und einem Stift plus sonorer Stimme – selbst das kommt bei den Schulkindern noch gut an.
Lehrkräfte suchen sich die Finger wund
In puncto Digitalität in der Schule bleibt den Lehrkräften nur eines: Deutschland sucht den Superstar … für umsonst. Digitale Ergänzungen im Unterricht sollen nichts kosten und DSGVO-konform sein. Lehrkräfte, die zurzeit digitale Technologien in den Unterricht einbinden wollen, bewegen sich häufig im Graubereich der Legalität.
Deutschland setzt auf Open Education Resources (OER) – das bedeutet in diesem Zusammenhang: Es werden hoffentlich private Initiativen richten. Initiativen wie beispielsweise das Forum Bildung Digitalisierung oder Verena Pausders „Wir für Schule“ organisieren Summits oder unternehmen Bildungsreisen. Das sind lediglich Initiativen. Dabei kommt höchstens Stückwerk für die Schulen heraus. Eine kleine Unterrichtsidee aus privatem Kämmerlein ersetzt nicht das didaktisch sauber konstruierte Gesamtprodukt eines Lehrwerkes.
Es ist an der Zeit, den Kindern im Unterricht mehr zu bieten als zufällig zusammengesuchte digitale Angebote oder veraltete, eingescannte Schulbuchseiten. Es braucht Angebote, die den Lehrkräften leicht- und den Schulkindern zufallen. Dafür müssen sich die Bildungsverlage bewegen. Und das kostet Zeit – und Geld.
Zolltan Farkas ist Mitgründer des Verlags „Wagner & Farkas“ in Hamburg. Zudem ist er Lehrer für die Fächer Deutsch und Englisch und gibt Fortbildungen in Medienpädagogik.