
Der Umgang mit der Umweltkatastrophe rund um die Oder beschäftigt die deutsch-polnische Politik seit einem Jahr, Steffi Lemke traf sich dazu heute mit ihrer polnischen Amtskollegin. Wie sehr belastet das Thema die Regierungszusammenarbeit?
Das Thema ist in der Tat eine große Belastung und zeigt verschiedene Probleme in den deutsch-polnischen Beziehungen. Man sieht, dass die Zusammenarbeit im Bereich Umweltschutz zwischen Ministerien auf der höchsten Ebene nicht funktioniert. Ein Grund dafür ist, dass die polnische Regierung kein Interesse daran hat und kein Vertrauen in die deutsche. Die Strukturen sind auch verschieden, was oft zu organisatorischen Problemen führt.
Was meinen Sie genau?
Deutschland ist eine Bundesrepublik, in der die Länder eine wichtige Rolle spielen - Polen ein Zentralstaat. Viele Behörden können sich da einfach nicht verständigen und denken, das ist dann böse Absicht von der anderen Seite. Dabei sind die Dinge einfach anders geregelt, weshalb Verantwortungen hin- und hergeschoben werden. Ein allgemeines Problem zwischen beiden Ländern ist auch die gegenseitige Wahrnehmung.

Inwiefern?
Um das Phänomen besser zu erklären, benutzen wir am DPI gerne die Lehrer-Schüler-Metapher. In Deutschland heißt es zum Beispiel bei Naturkatastrophen oder dem Thema Demokratie immer: Die Polen müssen erst lernen, wie man damit umgeht. Die Polen fühlen sich immer von den Deutschen belehrt. Gerade bei der Oder-Katastrophe hat das leider „super“ funktioniert: Die Deutschen haben Polen, vor allem über die Medien, gleich kritisiert, was inhaltlich nicht unberechtigt war. Aber die Art war sehr belehrend: Wir wissen es besser. Die Polen haben sich als Schüler gefühlt und auch so reagiert. Die Kommunikation hat nicht nur die Stimmung verschlechtert, sondern auch die Klärung der Lage erschwert.
Eine weitere Verschlechterung der Beziehungen fürchtet die Bundesregierung nach dem EuGH-Urteil zur Justizreform auch in Sachen Demokratie und Rechtstaatlichkeit.
Alle europapolitischen Probleme der polnischen Regierung, da geht es nicht nur um die Rechtsstaatlichkeit, verschlechtern die deutsch-polnischen Beziehungen. Auch wenn sich die Bundesregierung sehr zurückhält, kostet das Ganze natürlich Vertrauen.
„Alle europapolitischen Probleme der polnischen Regierung verschlechtern die deutsch-polnischen Beziehungen“
Im Herbst wird in Polen gewählt, welche Folgen könnte das haben?
Es ist noch völlig offen, wie die Wahlen ausgehen. Wenn die PiS-Regierung an der Macht bleibt, dann werden die antideutsche Rhetorik und das Misstrauen bleiben. Das heißt aber umgekehrt nicht, dass alle Probleme sofort verschwinden, wenn die Opposition gewinnt. Es gibt bestimmte Dinge, die in beiden Ländern einfach unterschiedlich gesehen werden. In Polen werden Atomkraftwerke erst noch gebaut, in Deutschland wurden sie gerade abgeschaltet. Polen ist auch viel skeptischer, was die zukünftigen Beziehungen zu Russland nach einem hoffentlichen Sieg der Ukraine angeht. Gesprächsbedarf und -willen wird im Fall eines Oppositionssiegs auf jeden Fall da sein. Die Frage ist: Wie voll werden die Schubladen beider Seiten sein, wenn es um Ideen für eine konstruktive Zusammenarbeit geht?
Die Regierung in Warschau setzt viele Hoffnungen in die USA und machte gerade in der Amtszeit von Donald Trump den Eindruck, sie würde sich am liebsten eher mit den Vereinigen Staaten als mit der EU verbinden. Welche Rolle spielt das im Verhältnis zu Brüssel und Berlin?
Für alle politischen Kräfte in Polen bleiben die USA ein wichtiger Verbündeter, weil aus Sicht der Polen nur sie in der Lage sind, die Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Die engen polnischen Beziehungen zu ihnen könnten generell auch für die Zusammenarbeit Warschaus im Rahmen der EU oder mit Deutschland gewinnbringend sein. Nur: Die jetzige Regierung sagt, man brauche die EU und Deutschland nicht so sehr, die USA würden reichen.
Welche Rolle spielt das sogenannte Weimarer Dreieck aus Deutschland, Polen und Frankreich?
Das Format hat keine formalisierte Struktur, hilft aber dabei, sich abzusprechen und die jeweiligen Positionen gegenseitig zu erläutern. Gerade der Krieg hat es gezeigt: Da gab es Treffen, die geholfen haben, eine gemeinsame Beurteilung der Lage vorzunehmen und sich darüber auszutauschen, wie die Hilfe für die Ukraine aussehen soll. Aber man darf es mit der Hoffnung nicht übertreiben: Solche Treffen werden die Lage in Europa nicht grundsätzlich verbessern. Ich hoffe dennoch, dass man solche Formate auch bei EU-Themen wie etwa der Umweltpolitik nutzen kann, um die schwierigen Fragen anzusprechen und nach Lösungen zu suchen. Weil die drei Länder in vielen Bereichen so unterschiedliche Sichtweisen vertreten, heißt es in Brüssel manchmal: Wenn die sich verständigen können, können sich alle Mitgliedsländer verständigen.
„Das Thema Reparationen spielt für die konservative PiS-Wählerschaft eine sehr wichtige Rolle“
Ein zunehmend heikler Streitpunkt zwischen Deutschland und Polen ist seit Jahren die Geschichte, Stichwort Reparationen. Welche Rolle spielt die Frage derzeit?
Da muss man differenzieren. Wenn es um Forderungen der aktuellen Regierung geht, dann dient das nur innenpolitischen Zwecken. Für die konservative PiS-Wählerschaft spielt das Thema noch immer eine sehr wichtige Rolle. Etwas anderes in dem Zusammenhang ist aber für alle Polen wichtig - auch die, die in die Zukunft schauen wollen.
Und zwar?
Dass man in Deutschland versteht und nie vergisst: Wer war Täter, wer war Opfer? Und dass man die deutsch-polnische Geschichte kennt und versteht, wie die Polen gelitten haben. Es geht vielen Polen um die Anerkennung und nicht darum, dass Deutschland sofort etwas zahlt.
Was können beide Länder voneinander lernen? Der neue Berliner Bürgermeister Kai Wegner war gerade in Warschau, um sich manches abzuschauen.
Deutschland kann einiges lernen, wenn es um die Digitalisierung der Verwaltung und des Gesundheitswesens geht. Ich lebe in beiden Ländern und kann das vergleichen: In Polen kann ich fast alles digital machen, zum Beispiel mich ummelden oder auf meine ärztlichen Rezepte zugreifen. Austauschen könnte man sich auch im Bereich der Digitalisierung in der städtischen Verwaltung und an Schulen. Polen kann etwas lernen beim Umweltschutz und erneuerbaren Energien. Dort haben aber auch viele Privathäuser Solaranlagen – das könnte wiederum für viele Deutsche interessant sein.