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Tierwohl: Streit um die Tötung von Huhn-Embryos

(Foto: Imago/Countrypixel)

Was das Wohl von Hühnern angeht, ist Deutschland ziemlich streng. Seit dem 1. Januar 2022 ist jegliches Kükentöten verboten. Ab Januar 2024 dürfen Züchter das Geschlecht des Embryos im Ei nicht mehr bestimmen, wenn dieser älter ist als sechs Tage. Männliche Legehühner sind nämlich unerwünscht, weil sie keine Eier legen. Nun will Landwirtschaftsminister Cem Özdemir diese von seiner Vorgängerin Julia Klöckner geschaffene Gesetzeslage, die ab kommendem Jahr gilt, neuer wissenschaftlicher Erkenntnis anpassen.

Eine Geschlechtsbestimmung zwecks Abbruch des Brutvorgangs bei männlichen Embryos dürfte danach bis Tag 12 möglich sein, ohne das Tierwohl zu gefährden. Denn erst ab Tag 13, wie jetzt eine Studie der TU München im Auftrag des BMEL ergeben hat, könnte der Embryo eventuell Schmerz empfinden.  

Damit will Özdemir ein Gesetz nachbessern, das bei Inkrafttreten die Eier-Erzeugung in Deutschland vor große Probleme stellen würde. Bis heute ist keine Methode auf dem Markt, die eine so frühe Geschlechterbestimmung ermöglicht wie ab 2024 vorgesehen. In der Konsequenz müssten alle befruchteten Eier ausgebrütet und alle männlichen Lege-Hühner als „Bruderhähne“ aufgezogen werden. Und das geht ins Geld: Im Vergleich zur Mast von fleischansetzenden Hühnerrassen ist die eines Bruderhahns doppelt so teuer.

Derzeit nutzen laut BMEL etwa 70 Prozent aller Brütereien die In-Ovo-Beseitigung der unerwünschten Männchen. Oft sogar über Tag 12 hinaus: Noch ist das gesetzlich erlaubt. „Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse grenzen den Zeitraum für das Schmerzempfinden deutlich stärker ein als es bisher der Fall war“, sagte die agrarpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Susanne Mittag Berlin.Table. „Es ist gut, dass wir eine neue Grundlage für eine rechtliche Anpassung haben und noch ausreichend Zeit, diese umzusetzen.“

Versorgungssicherheit mit Eiern in Gefahr

Aus der Branche erhält Özdemir scharfen Gegenwind. Die „Versorgungssicherheit mit dem Grundnahrungsmittel Ei“ sei in Gefahr, warnte Lohmann Deutschland, größter Küken-Erzeuger im Land und Tochter des globalen Geflügel-Giganten EW Group. Durch die Schaffung einer „Insellösung“ im Vergleich zum restlichen Europa werde Özdemir „zum Totengräber der besten Nutztierhaltung in Europa“, so Lohmann Deutschland-Chef Tobias Ferling. Eine bemerkenswerte Aussage für einen internationalen Konzern, der Geflügel auch in Ländern mit deutlich niedrigeren Haltungsstandards züchtet wie in Polen oder Bulgarien. 

Hinter dem Frust dürften wirtschaftlichen Interessen stehen. Die EW Group hat bei ihrer Tochterfirma AAT eine vergleichsweise günstige Technik zur Geschlechtsbestimmung des Embryos entwickelt, die allerdings erst nach Tag 12 einigermaßen sicher funktioniert. Sie heißt „Cheggy“ und wird sich kaum durchsetzen, wenn es dauerhaft zu einem Tötungsverbot ab dem 13. Tag käme. Ferling fordert von Özdemir nun die französische Lösung: In Frankreich ist die Embryo-Abtötung bis zum 15. Entwicklungstag erlaubt. 

Mitbewerber Respeggt gibt sich gelassen. „Unsere Methode kann an Tag 9 das Geschlecht bestimmen, es gibt weitere Anbieter, die das auch können. In Deutschland wird es zu keinen Engpässen bei Eiern kommen, wenn die Regierung das Gesetz anpasst“, so Respeggt-Geschäftsführer Ludger Breloh. „Özdemirs Vorschlag würde endlich Rechtssicherheit schaffen.“ Nachteil seiner Methode „Seleggt“ für Eier-Produzenten: Sie ist doppelt so teuer wie „Cheggy“.

Ist das Leben einer Maus weniger wert als das eines Kükens?

Am teuersten freilich ist die Aufzucht des Bruderhahns, also das, was der Agrarpolitik seit Klöckner-Zeiten als Ideal vorschwebt. Mittlerweile ist sichtbar, dass dieser Plan am Grünen Tisch entstand. „Wir müssen zwei Drittel unserer Bruderhähne in Polen und den Niederlanden schlachten lassen. Die hiesigen Legehennen-Schlachtereien haben keine Kapazitäten“, sagt Franz-Josef Buske. Buske zieht gut zwölf Millionen Bruderhähne im Jahr auf und ist damit größter Bruderhahn-Mäster der Welt. Überzeugt hat der Bruderhahn den Geflügel-Kaufmann dennoch nicht. „Wir füttern die Tiere 81 Tage, dann müssen sie auf den Transport. Schafft das wirklich mehr Tierwohl? Früher haben wir die Küken schmerzfrei mit Gas getötet.“ Alle toten Küken seien nachweislich in Zoos oder Vogelparks verfüttert worden, so Buske. „Heute importieren die Vogelparks Küken und die Zoos züchten ersatzweise Mäuse. Da fragt man sich doch: Ist das Leben einer Maus weniger wert als das eines Kükens?“

Buske züchtet konventionell gehaltene Bruderhähne, die im Ei nicht als Männchen identifiziert wurden, sowie Bio-Hähne. Die deutschen Bio-Verbände haben sich zur Bruderhahn-Aufzucht verpflichtet, eine In-Ovo-Beseitigung kommt für sie nicht in Frage. Die Verbände setzen dabei auch auf Zweinutzungshühner, deren Züchtung das BMEL fördert: Rassen, die gut Fleisch ansetzen und zugleich viele Eier legen. Das ist der Weg, den die grüne Abgeordnete Renate Künast empfiehlt. Gegenüber der In-Ovo-Beseitigung seien die Bruderhahninitiative und das Zweinutzungshuhn „die viel besseren Varianten, auch ethisch gesehen“, so Künast. Viele Menschen lehnen die Haltung von auf Leistung gezüchteten Hühnern in Legebatterien ab.

Öko-Verbände befürchten Eier-Knappheit

Doch zur Wahrheit gehört auch, dass sich das Öko-Eier-Geschäft durch die Bruderhahn-Aufzucht nochmal empfindlich verteuert hat. Zusammen mit hohen Futterkosten und unsicheren Märkten führt dies dazu, dass erste Betriebe von Bio auf die Haltungsstufe Freiland absenken. „Wir laufen in eine Knappheit hinein“, sorgt sich Naturland-Präsident Hubert Heigl, Vorstand Landwirtschaft beim Bio-Dachverband BÖLW. Für ihn als Ökobauer stehe freilich fest, dass sich die Bruderhahn-Aufzucht vom Ei bis zum fertigen Produkt in regionalen Wertschöpfungsketten etablieren muss. Gerüchteweise heißt es seit langem, dass deutsche Bruderhähne via Polen in Afrika landen würden.

Was bleibt, ist ein deutscher Eiermarkt, der im Wettbewerb mit Nachbarländern das Nachsehen hat, weil eine ethische Frage hier anders beantwortet wird. Ein Tier, so steht es im Tierschutz-Gesetz, darf nur aus einem „vernünftigen Grund“ getötet werden. Das Bundesverwaltungsgericht und in der Folge der Bundestag halten es für vernünftiger, ein männliches Legehuhn-Küken zu mästen – trotz fehlender Schlachtkapazitäten und mangelnder Nachfrage – als es für den Tierfutterbedarf sofort zu töten. Der Preis, auch für Verbraucherinnen und Verbraucher, ist hoch. Rechtssicherheit bei der In-Ovo-Beseitigung kann höchstens Erleichterung schaffen.

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