

Zeiten und Beziehungen haben sich fundamental geändert. In der Gesellschaft, aber auch in der Politik. Und zuletzt ganz besonders zwischen zwei Koalitionspartnern: der SPD und den Grünen. Inhaltlich, kulturell, habituell. Als die Ampel den Koalitionsvertrag unterzeichnet hat, glaubten viele, dass da zwei Freunde mit einem Fremden regieren würden: also SPD und Grüne mit der FDP. Inzwischen ist die Hälfte der Legislatur schon fast vergangen. Und im vermeintlich selbstverständlichen Bündnis zwischen Roten und Grünen haben Unverständnis und Distanz immer mehr Raum eingenommen. Die sich vermeintlich Nahestehenden sind sich eher fremd geworden.
Ein rot-grünes Projekt, wie es Gerhard Schröder und Joschka Fischer vor 25 Jahren ausgerufen haben, war diese Ampel nie. Dagegen stand schon die FDP mit ihrem Parteichef. Insofern war früh klar, dass auch das Verhältnis zwischen SPD und Grünen komplizierter werden könnte, als es mit dem Koch Schröder und dem Kellner Fischer seinerzeit war. Christian Lindner musste zu Beginn gefühlt den größten Schritt machen; insofern war schnell absehbar, dass die beiden Partner von einst früher oder später einen politischen Preis würden zahlen müssen.
Grüne nervt Scholz‘ Autorität, die SPD der Erfolg schwarz-grüner Landesregierungen
Doch trotz GEG-Streit und E-Fuels-Debatten – die FDP ist nicht das einzige Handicap. Die vergleichsweise erfolgreichen schwarz-grünen Koalitionen – aktuell auch in Nordrhein-Westfalen – wirken seit Monaten wie eine Provokation, ja echte Gefahr für den Kanzler und seine Sozialdemokraten. Sie haben einem grundsätzlichen Argwohn der SPD, die um ihren Status als Volkspartei kämpft, zusätzlich Nahrung gegeben. Was dazu geführt hat, dass die Genossen zunehmend darauf achten, den Grünen Grenzen zu setzen. Besonders deutlich war das nach der letzten Berlin-Wahl zu erkennen. Als die CDU mit einem schwarz-grünen Bündnis auch nur liebäugelte, unternahm Franziska Giffey sehr schnell den Versuch, Kai Wegner von einer klassischen Groko zu überzeugen. Im Willy-Brandt-Haus dachte niemand auch nur an einen Versuch, sie davon abzuhalten. Giffeys Diktum: Lieber wir als die Grünen.
Die abgekühlte Stimmung manifestiert sich in Kultur und Positionen. Vor allem neuere Abgeordnete der Grünen, die noch nicht allzu lang im Bundestag sitzen, nervt die Autorität von Bundeskanzler Olaf Scholz. Bei den Grünen verteile sich die Macht auf mindestens sechs Schultern, während Scholz durchregiere, heißt es unter grünen Parlamentariern. In den Wochen nach der Bundestagswahl hatten junge Abgeordnete beider Parteien noch Bilder geteilt, inszeniert als euphorische, progressive Bündnispartner voller Motivation. Dass sich in der politischen Realität weit weniger schnell und entschlossen voranschreiten lässt, belastet inzwischen das Verhältnis. Scholz lasse andere Sozialdemokraten verstummen, heißt es bei den Grünen, die jüngeren Genossen würden sich kaum oder nur vorsichtig gegen den Kanzler wehren.
Die SPD hat von der CDU, ihr Kanzler Scholz von Vorgängerin Merkel gelernt
Richtig ist, dass das mit Autorität, aber auch mit einer wirkmächtigen Erfahrung zu tun hat. Die SPD hat mühsam und schmerzhaft gelernt, dass es ihr besser geht, wenn sie öffentlich möglichst wenig streitet. Auch in diesem Verhalten ähnelt Scholz seiner Vorgängerin Angela Merkel. Genauer noch: Die SPD verhält sich bei Scholz so, wie es die CDU lange Jahre bei Merkel gehalten hat. Kleine Ironie der Geschichte: Nichts hatte die Sozialdemokraten früher mehr irritiert als diese Treue der CDU zu ihrer Kanzlerin.
Für die Grünen ist das alles andere als schön. Auch langjährige Abgeordnete werfen dem Kanzler inzwischen vor, Koalitionsvertrag und Wahlversprechen im Sinne des eigenen Machterhalts gern mal zu vergessen. Selbst die SPD-Innenministerin Nancy Faeser, so interpretieren es die Grünen, werde vom Kanzler nach seinen Interessen und Überzeugungen zurecht gestutzt. Härter und konsequenter gegen Rechtsextremismus habe sie vorgehen wollen, sozialer bei der Asylpolitik. Scholz aber habe ihr eine andere Linie aufgedrängt, mutmaßen manche Grüne.
Viele Grüne bevorzugen Zusammenarbeit mit FDP
Das muss nicht unbedingt stimmen, zugleich zeigt es, wo die Grünen der Schuh drückt: Dass sie in der SPD derzeit kaum verlässliche Verbündete finden. Faeser hätte so jemand sein können; aktuell sieht es nicht danach aus. Nicht wenige Grüne behaupten inzwischen, dass es mit der FDP, sehe man mal von der großen Hürde Klima- und Energiepolitik ab, leichter sei beim Regieren. Das gelte für viele gesellschaftspolitische Fragen, aber auch für große außenpolitische Themen wie den Umgang mit China oder Russland. Auch nach den offiziellen Programmen ließe sich mit der FDP besser kooperieren.
Umgekehrt trifft man unter den Sozialdemokraten inzwischen viele, die sich an den Grünen regelrecht aufreiben. Und die ihren Unmut äußern, wenn auch nicht immer öffentlich. So ist aus der SPD-Fraktion zu hören, dass es vielen Grünen im Parlament an einer gewissen Demut fehle. „Bei uns arbeiten Abgeordnete oft jahrelang für den Papierkorb. Diese Erfahrung kennen viele Grüne gar nicht.“ Zu solider Arbeit, zumal unter drei Partnern, gehöre nun mal die Suche nach Kompromissen. Etwas schlicht, aber umso verständlicher fasste Franziska Giffey, den Grünen schon vor der Februar-Wahl in inniger Abneigung verbunden, die Kritik der Genossen zusammen: „Progressiv ist für mich, ein Problem zu erkennen, eine Lösung dafür zu finden und die dann auch umzusetzen. Und nicht, im Wolkenkuckucksheim theoretische Diskussionen zu führen.“
Vom logischen Junior zur bedrohlichen Konkurrenz
Manche Genossen lenken den Blick dann auf das komplexe Innenleben der Grünen und verweisen darauf, dass die interne grüne Länderabstimmung nicht mehr so funktioniere wie einst. Anträge der Landtagsfraktionen seien früher untereinander ausgetauscht, abgestimmt, übernommen worden. Heute führe niemand mehr Regie, ein gemeinsames Agieren bleibe dem Zufall überlassen. Ähnliches gelte auch fürs Verhältnis zwischen den beiden Koalitionspartnern. Selbst gemeinsame Projekte zwischen Friedrich-Ebert-Stiftung und der grünen Heinrich-Böll-Stiftung sind zur Ausnahme geworden.
Hinzu kommt eine früher ungekannte Ebene: die der unmittelbaren Konkurrenz. Bisweilen fast verbittert haben die Sozialdemokraten registriert, dass die Grünen sich in den letzten zehn Jahren emanzipiert haben. Sie sind zum Wettbewerber auf Augenhöhe geworden; auch beim ureigensten SPD-Thema Soziales, das sie sich auf die Fahne schreiben.
Besonders schmerzhaft haben viele Genossinnen und Genossen in Erinnerung, mit welchem Selbstbewusstsein und welcher Selbstverständlichkeit Annalena Baerbock im letzten Wahlkampf ums Kanzleramt kämpfte. Gern würden die Sozialdemokraten verhindern, dass die Grünen noch einmal in solche Bereiche vordringen. Und das auch, weil die SPD gerade machtlos zusehen muss, wie Ministerinnen und Minister der Grünen bei der Dena oder der Bundesgesellschaft für Endlagerung gleich mehrere Sozialdemokraten vorzeitig in den Ruhestand schickten. Schlagzeilen macht das nicht immer, schmerzhaft ist es jedes Mal.
Projekt Kindergrundsicherung verheißt Hoffnung am Horizont
Und dann ist da noch der Streit um die Vokabel Verzicht. Grüne sagen mehrheitlich, der ökologische Fußabdruck jedes einzelnen sei zu groß, ohne jede Einschränkung und Verzicht werde Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen. Ohne eine Reduktion etwa der Mobilität, des Fleisch- oder auch Flächenverbrauchs werde es nicht gehen. Das sehen aufstiegsorientierte Sozialdemokraten anders. Sie haben sich gerade einen gewissen Wohlstand erkämpft. Mit Eigenheim, Zweitwagen, Mobilität. Und wollen das nicht ohne weiteres infrage stellen lassen. Ihr Argument in Richtung grüne Partner: Für Verzicht lässt sich leichter argumentieren, wenn die Eigentumswohnung abbezahlt ist, das Elektroauto in der Garage steht und sich das schlechte Gewissen beim Ferienflug per Extrazahlung kompensieren lässt. Das aber sei innerhalb der deutschen Mittelschicht längst nicht überall der Fall.
Immerhin: Die nächsten Tage halten einen Test der besonderen Art bereit. Die Frage nämlich, wie es ausgeht mit der Kindergrundsicherung. Dass Familienministerin Lisa Paus und Arbeitsminister Hubertus Heil das Thema beackern, könnte zu noch mehr Konkurrenz, vielleicht aber auch zu mehr Kooperation führen. Beide werben dafür, beide bemühen sich darum, dass sie es am Ende sind, die dafür am härtesten gekämpft haben – die Chance auf ein verbindendes Gemeinschaftsprojekt. Sofern die SPD nicht befürchtet, dass die grüne Familienministerin ihr ausgerechnet auf dem Feld der Sozialpolitik zu viel Wasser abgräbt. Der Ausgang ist, wie man hört – offen.