Themenschwerpunkte


„Medienbesitz ist der Schlüssel zur Pressefreiheit”

Patrice Schneider Porträt
Patrice Schneider, MDIF: „Bedrohte Medien brauchen Kapital für ihre Unabhängigkeit“ (Bild: Frank van Beek)

In Ländern, in denen die Pressefreiheit bedroht ist, bietet der MDIF Medien Finanzierungen und Managementberatung an. Die Medien, mit denen die Nichtregierungsorganisation zusammenarbeiten, sollen „die Mächtigen zur Rechenschaft ziehen, die Rechte der Menschen schützen und eine Plattform für Diskussionen bieten“, sagt Chefstratege Patrice Schneider.

Wie steht es um die Pressefreiheit weltweit?

Weltweit ist die Pressefreiheit rückläufig. Autoritäre Regime breiten sich aus; Regierungen kontrollieren zunehmend Medien, damit ihre Version der „Wahrheit“ die einzige bleibt. Das Komitee zum Schutz von Journalisten zählte am 1. Dezember 2022 insgesamt 363 inhaftierte Reporter, ein neuer Höchststand. China, Myanmar, die Türkei und Weißrussland sind dabei am schlimmsten. In Russland kontrolliert die Regierung die Berichterstattung fast vollständig; die Wahrheit wird durch die des Kremls ersetzt. Auch die Zahl der Morde nimmt zu: Die Unesco geht davon aus, dass vergangenes Jahr 86 Journalisten ermordet wurden, wobei Mexiko am tödlichsten ist. Große Sorge bereitet uns auch die Des- und Fehlinformation, die von autoritären Regierungen teilweise sogar gefördert wird, um Verwirrung, Misstrauen und Zynismus zu schüren.

Welche Rolle spielen Eigentumsverhältnisse für die Pressefreiheit?

Medienbesitz ist der Schlüssel zur Pressefreiheit. In vielen Ländern, auch in Europa, haben Regierungen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in staatliche Sender umgewandelt. Gleichzeitig haben Regierungen und ihre Verbündeten in der Wirtschaft – Oligarchen und Unternehmen, die von öffentlichen Aufträgen abhängig sind – ehemals unabhängige private Medien übernommen und greifen in die redaktionelle Arbeit ein. In Ungarn beispielsweise haben Geschäftspartner der Regierung fast 500 Medien an die Regierungspartei verschenkt. In Serbien kontrollieren staatliche Telekommunikationsunternehmen den Zugang zu digitalen Medien. In Polen hat die staatliche Ölgesellschaft Medien übernommen und eigene Redakteure ernannt.

Wie bringt sich Ihre Organisation ins Spiel?

Der MDIF stellt Finanzmittel zur Verfügung, die nicht an redaktionelle Bedingungen geknüpft sind. Die Medien sollen wachsen und mithalten können, ohne ihre redaktionelle Unabhängigkeit zu verlieren. Die Medien, mit denen wir zusammenarbeiten, sind nicht im Besitz von politischen Parteien oder Oligarchen. Alle haben sich hohen ethischen Standards im Journalismus verpflichtet.

Können Sie ein Beispiel für Ihre Arbeit nennen?

In Europa verwalten wir zum Beispiel das Unternehmen Plūrālis. Es stellt Kapital von Investoren für bedrohte Medienunternehmen bereit, also Unternehmen, die Regierungen und ihre Verbündeten vereinnahmen wollen. Pluralis bietet gefährdeten Medien eine Alternative zu Finanzierungen, die ihre Unabhängigkeit gefährden würden. Bei den Investoren von Plūrālis handelt es sich um ein breites Spektrum von Stiftungen, führenden Medienhäusern und Impact-Investoren, die sich alle für unabhängige Eigentümer und unabhängige Redaktionen einsetzen. Diese „Mischfinanzierung“ bietet den Unternehmen, in die investiert wird, einen zusätzlichen Schutz.

Welche Möglichkeiten gibt es, unabhängige Berichterstattung zu fördern?

Viele! Die Grundidee des MDIF beruht auf der einfachen These, dass Medienunternehmen, die finanziell unabhängig sind, mit größerer Wahrscheinlichkeit auch redaktionell unabhängig sein werden. In vielen Teilen der Welt bleibt der fehlende Zugang zu Kapital, das nicht an Bedingungen geknüpft ist, ein entscheidendes Hindernis für die Entwicklung lebensfähiger unabhängiger Medien. Es wird Kapital benötigt, das eine Unternehmensführung ermöglicht, die den gesellschaftlichen Wert des Mediums mit seiner marktwirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit in Einklang bringt. Weil dieses Kapital fehlt, hat der MDIF Plūrālis ins Leben gerufen. Es handelt sich um ein sogenanntes blended funding Model, das philanthropisches und kommerzielles Kapital kombiniert, um dort einzugreifen, wo Medien am verwundbarsten sind.

Können gewinnorientierte Unternehmen überhaupt unabhängig berichten?

Ja, in verantwortungsbewussten, qualitativ hochwertigen Medienunternehmen können Journalisten frei und ohne Einmischung der Eigentümer berichten. Es gibt strenge Grenzen zwischen Redaktion und Geschäft, die durch ethische Kodizes und redaktionelle Leitlinien geschützt wird, und zwar durchaus unterschiedlicher Leitlinien. Das ist auch gut so. In jedem Land ist es wichtig, dass es eine Vielfalt von Nachrichten und Meinungen gibt, damit Bürgerinnen und Bürger nicht von einer einzigen Quelle abhängig sind.

Mehr zum Thema

    Umweltbundesamt-Präsident Dirk Messner: „Wir brauchen mehr Redlichkeit“
    Drohnenangriffe auf Moskau: Grüße an Russland
    Jürgen Trittin: „Erdoğan wird versuchen, Europa zu erpressen“
    Ex-Bundestagsabgeordneter Heribert Hirte über Lobbyismus: „Überall sind Einflüsse drin“