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„Hunderte Schädel, aufbewahrt in Kellern – das darf so nicht bleiben“

Weil die Gebeine nicht fotografiert werden dürfen, ist der Text mit Ausschnitten aus Nkoba illustriert – die Geschichte setzt sich mit geraubten Gegenständen auseinander. (Alle Bilder: Amani Abeid/Ethnologisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin)

Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), gehört zu den seltenen Vertretern der Kultur- und Kunstszene, die nicht laut werden, die nicht besonders eitel sind und die sich auch mal um Dinge kümmern, die nicht automatisch populär sind. Um ein solches Projekt kümmert sich Parzinger seit Jahren besonders, und dabei geht es nicht um außergewöhnlich schöne Kunstwerke oder über die Maßen wertvolle Kulturgüter: Es geht um die Überreste von Hunderten Menschen, die vor allem in der Kolonialzeit von deutschen Wissenschaftlern nach Deutschland gebracht wurden. Parzinger möchte diese „human remains“ dringend wieder an die Länder zurückgeben, aus denen sie stammen. Gemeint sind Hunderte Schädel, die bis heute in zahlreichen deutschen Museen, aber auch in den Archiven der Berliner Charité lagern.

Diesen Zustand wollen Parzinger und mit ihm Katja Keul, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, so schnell wie möglich beenden. Keul sagte dem Berlin.Table, der Status quo der Gebeine sei inakzeptabel. „Hunderte Schädel, aufbewahrt in Kisten in Kellern – das darf so nicht bleiben.“ Aus diesem Grund haben sich das Auswärtige Amt und die SPK entschieden, die Schädel entweder an die richtigen Adressaten zurückzugeben, seien es die Nachkommen, die Gruppen oder die Staaten, aus denen diese Menschen stammten. Oder, wenn das nicht möglich ist, wollen sie den Gebeinen „ein anständiges Begräbnis an einem passenden Ort“ sicherstellen, wie Keul es formuliert.

Amani Abei aus Tansania hat die Graphic Novel Nkoba erschaffen.

Das Ziel eines richtigen Umgangs mit den Gebeinen ist Teil eines noch größeren Versuchs, die deutsche Kolonialgeschichte im heutigen Tansania aufzuarbeiten. Dazu gehören nicht nur die Schädel und ihre angestrebte Rückgabe. Hinzu kommen Kulturgegenstände, die von den Kolonialtruppen zum Teil auch nach niedergeschlagenen Aufständen mitgenommen wurden. Sie sollen ebenfalls baldmöglichst ihren Weg zurück nach Tansania finden. Und es gehört eine umfassende historische Aufarbeitung der Gräueltaten dazu, die Keul besonders am Herzen liegt. „Es geht um gesellschaftliche Aufklärung, um öffentliche Debatte und die Überarbeitung von Schulbüchern“, so Keul. „Es geht darum, die Verbrechen und die Opfer der Aufstandsbekämpfung bekannt zu machen.“

„Wir sind zur sofortigen Rückgabe bereit.“

Parzinger wie Keul mussten dabei erkennen, dass die deutsche Geschichte in Ostafrika weder dort noch hier besonders bekannt ist. Das war für beide überraschend. Keul sieht aber gerade darin eine besondere Gelegenheit. „Gerade, weil beide Seiten noch nicht viel wissen, ist das unsere Chance, es gemeinsam anzugehen.“ Erste Kontakte gibt es, zu den Botschaften und zur Regierung. Aber dass das Ganze noch eine Weile dauernd wird, daran zweifelt niemand.

Das Spektakulärste bleiben ohnehin die Schädel. Und ihre Herkunft zu identifizieren war bis zuletzt das größte Problem. Mittlerweile aber hat ein großes Projekt der Provenienzforschung Parzinger und seine Leute einen großen Schritt weitergebracht. Mitte Januar konnte er ein Buch präsentieren, das die Wissenschaftler Bernhard Heeb und Charles Mulinda Kabwete herausgegeben haben. Demnach wurden inzwischen mehr als 1100 Schädel untersucht, und davon konnten 904 Gebieten im heutigen Ruanda, 202 Gebieten im heutigen Tansania und 22 in Kenia zugeordnet werden. Für Parzinger ist seither klar: „Wir sind zur sofortigen Rückgabe bereit und warten jetzt auf Signale aus den Herkunftsländern.“

Dabei beobachtet die deutsche Seite, dass sowohl der tansanische Botschafter in Berlin als auch die Regierung in Daressalam zwar freundliche Worte finden, aber noch keine klare Antwort geben. Hintergrund ist zum einen eine Verunsicherung, die Keul vor Ort ausgemacht hat. So sei bei einem Besuch in Tansania hie und da auch die fast ahnungslose Frage hochgekommen: „Um Himmels willen, was habt Ihr mit den Schädeln gemacht?“ Diese Unwissenheit könnte eine grundsätzliche Vorsicht der tansanischen Seite erklären, zumal es gut sein kann, dass nur einzelne Regionen im heutigen Tansania betroffen sein könnten. Das könnte zur Folge haben, dass sich die Zentralregierung am liebsten heraushalten würde.

Hinzu kommt, wie Parzinger berichtet, dass Deutschland und die deutsche Kolonialzeit in Tansania bei Weitem nicht so negativ gesehen werden, wie das beispielsweise in Namibia der Fall ist. Woran das liegt, ist offen; es könnte aber in nicht unerheblichem Maße damit zu tun haben, dass es das Tansania von heute damals noch nicht gab – und auch entsprechende Erinnerungen deshalb nicht so fest sind wie anderswo. Auch deshalb könne es einem bis heute passieren, dass sich mit Deutschland eher der Bau der Eisenbahn als die Gräueltat eines Kolonialherrn verbunden werden.

Hermann Parzinger und Katja Keul (Bilder: Imago/Emmanuele Contini und Imago/phototek)

An der Entschlossenheit von Keul und Parzinger ändert das nichts. Sie bemühen sich weiter, in Tansania die richtigen Ansprechpartner zu finden, um den Prozess umfassend starten zu können. Dabei dürfte helfen, dass die Gerüchte, wonach die meisten Schädel aus der Region Kriegsbeute sein könnten, sich nicht bewahrheitet haben. Nach allem, was Parzinger weiß, gehen die meisten Gebeine auf Grabräuber zurück, nicht auf Massaker. An der Unrechtmäßigkeit ändert das wenig. Parzinger erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass hier wie dort solche Gräberschändungen unter Strafe stehen. Er will (und kann) nur der Erzählung vorbeugen, hier handle es sich im großen Stil um die Schädel von Menschen, die von den Deutschen getötet wurden. Das, so viel scheint sicher, ist in den allermeisten Fällen nicht so.

Bleibt noch die Frage, warum damals die Schädel überhaupt so wichtig waren. Wie Parzinger erklärt, waren die übrigen Gebeine für die Wissenschaftler weitgehend wertlos. Die Schädel aber gaben ihnen Hinweise auf Herkunft und Lebensweise. Was damals die Schädel waren, ist heute die DNA, sagt Parzinger.

Einen Schritt in die eine gemeinsame Aufarbeitung ist immerhin schon getan worden. Und zwar im Umgang mit kultischen Gegenständen, die damals nach Deutschland gebracht wurden. Dabei handelt es sich um einen Zauberbeutel, eine Trommel und weitere Objekte, die zur Maji-Maji-Kultur gehören. Mit ihnen wird zurzeit eine Ausstellung im Berliner Humboldtforum konzipiert; mit dabei sind auch das Berliner Ethnologische Museum mit Kuratorin Paola Margherita Ivanov und das tansanische Nationalmuseum in Daressalam. Eröffnet werden soll die Ausstellung im Herbst kommenden Jahres, und ein Jahr später sollen alle Objekte nach Tansania umziehen.

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